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2007 (C) Österliche Bußzeit

Homilie zu Lk 15,1-32 am 4. Fastensonntag in Rödlas ===>> Texte der Liturgie und der Hl.Schrift

Der barmherzige Vater und wir [1]

1 Bedeutung der Paschafeier - Ostern

Mit der heutigen Lesung aus dem Buch Josua werden die Taufbewerber und wir, die Getauften, daran erinnert, was das Pascha, das Osterfest, auf das wir uns vorbereiten, bedeutet: Gott hat sein Volk aus »der ägyptischen Schande« befreit. Er hat es aus der Knechtschaft in die Freiheit geführt.

In der vierzig Jahre dauernden Wüstenzeit hat er sie geläutert und durch den Bundesschluss am Sinai als sein Volk geheiligt. Im verheißenen Land angelangt sollen sie zur Ruhe kommen und im Gedenken an Gottes veränderndes von der Knechtschaft in die Freiheit führendes Eingreifen jährlich das Pascha feiern.

Bezeichnend ist schon der Name Josua, des Organisators des Einzugs: er bedeutet das gleiche wie Jesus: "Jahwe schafft Heil".

Die 40 Tage dauernde Bußzeit ist also eine Zeit, in der uns Jesus aus der Knechtschaft der Sünde, d.h. aus der Absonderung von Gott, den Menschen, der Schöpfung und uns selber befreien will.

Durch Jesus hat Gott seinen Bund allen Menschen angeboten. Und dieses Angebot Gottes annehmend kommen wir an im verheißenen Land, das Jesus Christus uns eröffnet. Darum sagt Paulus in der Lesung aus dem 2. Kor. "Wenn jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung." Wir dürfen als Christen in dem zuhause sein, der ganz und auf ewig bei Gott zuhause ist, in Jesus Christus.
Dieses Neue kommt von Gott her, »der uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat«.

2 Der Gott Jesu ist barmherziger Vater

Der Anlass für das Gleichnis vom barmherzigen Vater ist ein doppelter: Zwei Gruppen von Menschen sind vor Jesus versammelt. Zuerst die »Zöllner und Sünder« und dann die »Schriftgelehrten und Pharisäer«. Es heißt: »Alle Zöllner und Sünder kommen zu ihm, um ihn zu hören«. Und dann: »Die Pharisäer und die Schriftgelehrten empören sich darüber und sagen: Er gibt sich mit Sündern ab und isst sogar mit ihnen«.

Die Zuwendung Jesu zu den Sündern und der Unmut der Frommen darüber sind der Hintergrund für das im Evangelium gehörte Gleichnis. Dem entsprechen die beiden Söhne im Gleichnis, der verlorene und der daheim gebliebene Sohn.
Zuvor aber werden zwei Gleichnisse erzählt, die von der Sorge Gottes um die Verlorenen und Verirrten handeln. Sie wurden bei der Verlesung des Evangeliums am 4. Fastensonntag weggelassen. Verdichten aber das im heutigen Evangeliumstext Gesagte.

Zuerst steht da das Gleichnis vom verlorenen Schaf, um dessentwillen der Hirte die anderen 99 in der Steppe zurücklässt und solange nach dem verlorenen sucht, bis er es findet. Allen Freunden und Nachbarn teilt er seine Freude darüber mit.
Das 2. Gleichnis handelt von einem verlorenen Geldstück, einer Drachme. Die Frau stellt das ganze Haus auf den Kopf solange suchend bis sie das Geldstück gefunden hat. Auch sie lässt all ihre Freundinnen und Nachbarinnen an ihrer Freude teilhaben.

Beide Gleichnisse erzählen von der unablässigen Sorge Gottes um die verlorenen Menschen und von der übergroßen Freude Gottes über die Gefundenen und Heimgeholten. Jedes Mal freut sich der ganze Himmel mit, wenn ein Sünder umkehrt, heimkehrt zu Gott. Daran also schließt unser heutiges Gleichnis an. Darin begegnen uns

3 Zwei ganz verschiedene Kinder ein und desselben Vaters.

Bei dem im Evangelium gehörten Gleichnis haben wir uns angewöhnt, vom »verlorenen Sohn« zu sprechen. Aber da sind ja zwei Söhne. Und ist der daheim gebliebene nicht auch ein verlorener Sohn? Obwohl er täglich Umgang mit dem Vater hat, ist seine Liebe zum diesem erloschen, ist er innerlich weit weg von ihm, wie seine aufbegehrenden Worte bei der Heimkehr des Bruders zeigen. Es ist schlimmer dran, als sein heruntergekommener Bruder, der voller Reue und seine Sünde bekennend heimkehrt. Also könnten wir unseren heutigen Evangeliumstext auch als das Gleichnis von den zwei verlorenen Söhnen bezeichnen.
Und doch ist es zu allererst »das Gleichnis vom barmherzigen Vater«. Er ist der Schlüssel zum Verständnis des Ganzen.

Es wäre also gut, wenn wir uns als Getaufte in allen dreien, im verlorenen wie im daheim gebliebenen Sohn, aber auch im barmherzigen Vater entdecken würden. Das könnte helfen, wie Anselm Grün sagt, die eigene Vater- und auch Mutterbeziehung zu klären und zu heilen,[2] und vor allem auch unsere Gottesbeziehung. Zuerst werde ich also

3.1 Den verlorenen Sohn, die verlorene Tochter in mir entdecken.

Das gilt sowohl für die Beziehung zu unseren Eltern als auch zu Gott.
Der Sohn geht weg vom Vater, hat die Nähe der Familie satt. Seine Gedanken und sein Herz gehen in die Weite. Er möchte endlich selber leben, seinen eigenen Weg gehen. Der führt ihn weit weg von zuhause, auch weit weg von den Maßstäben der Familie. Er tut gerade das Gegenteil von dem, was er daheim gelernt hat.

In einer emanzipierten, von Gleichberechtigung der Geschlechter geprägten Gesellschaft wie der unseren, gibt es nicht nur verlorene Söhne, sondern auch verlorene Töchter. Auch sie möchten ausbrechen aus der Bevormundung. Sie möchten sich selbst beweisen und ohne die täglichen Ermahnungen selbst erkunden, was für sie gut ist. Sie möchten ihre Freiheit. Freilich man kann dabei auch ganz unten, bei den Schweinen landen.

Doch auf dem Weg nach draußen kann sich der Sohn/die Tochter plötzlich wie verloren vorkommen, weil sie das bisher Tragende, Verlässliche, abgestreift haben. Sie fühlen sich in der Fremde, alleingelassen, unverstanden, "heillos" (asotos), wie der griechische Text sagt, aus der Mitte gerissen, wurzellos.

Diese Erfahrung kann aber auch etwas Neues hervorbringen. Mitten in der Enttäuschung oder gar Verzweiflung müssen sie zu sich selbst finden. Die Umkehr beginnt mit der Einkehr bei sich vor dem Angesicht Gottes. Diese kann sogar zur Heimkehr ins Vaterhaus, ins Mutterhaus führen. Und die sich an der Liebe und Langmut Gottes orientierenden Väter und Mütter, werden den Sohn/die Tochter voller Freude und ohne Vorwürfe aufnehmen. Sie werden sogar wie Gott und der Himmel ein Fest feiern.

Das Gleichnis will also jedem, der sich verirrt oder verrannt hat, Mut machen, bei sich einzukehren, umzukehren und dann dorthin zurückzukehren, wo er/sie wirklich zuhause ist, wo er/sie ganz sie selbst sein darf: Bei unserem himmlischen Vater, dem Gott und Vater Jesu Christi, der uns mehr als eine Mutter je ihr Kind lieben kann, liebt. Bei ihm ist die Tür immer offen. Ja, er hält Ausschau nach uns, geht uns entgegen und wartet auf uns.

Es kann aber auch sein, dass wir zu den daheim Gebliebenen, älteren Söhnen und Töchtern gehören, die immer zur Familie gehalten, auf deren Wohl bedacht waren. Die mit der Kirche, der Familie der Gotteskinder lebten, sich an die Gebote Gottes hielten und Sonntag für Sonntag den Gottesdienst mitfeierten.
Es ist gut und heilend

3.2 den älteren Sohn/die ältere, daheim gebliebene Tochter in uns wahrzunehmen.

Der oder die Daheim gebliebenen können von sich sagen: Ich habe mich angepasst, die Normen erfüllt, die mir vom Vater, von der Mutter vorgegeben wurden. Vielleicht habe ich sogar verächtlich auf jene herabgeschaut, die ihre eigenen Wege gingen, auf all die Menschen, die gesetzlos leben, die einfach tun, was sie wollen, ohne Rücksicht auf die Folgen. Man habe doch schon immer gewusst, dass das falsch ist, was die von zuhause Fortstrebenden in der Welt draußen Lebenden probieren. Dann klingt das ähnlich abfällig: „Dieser dein Sohn da.“ [3] Der daheim Gebliebene sieht im Heimgekehrten nicht mehr als seinen Bruder.

Er kann es nicht ertragen, dass der Gescheiterte so liebevoll aufgenommen wird. Mit einem Mal bricht die ganze Bitterkeit aus dem daheim Gebliebenen, Braven und Ordentlichen heraus ob solch überschwänglicher Liebe, ob solch grundlosem Erbarmen. Zugleich spürt er oder sie, dass sie sich nicht aus Liebe und Überzeugung an die Maßstäbe der Familie gehalten haben, sondern aus Bequemlichkeit oder aus dem Wunsch heraus, dann beim Vater/bei der Mutter besonders beliebt zu sein.

Wie aber reagiert Gott darauf?
Der Vater macht auch dem älteren Sohn keinen Vorwurf. Er redet ihm vielmehr gut zu, spricht ihn zärtlich an: "Mein Sohn, du bist immer bei mir, und alles, was mein ist, ist auch dein" [4] Diese liebevollen Worte laden auch den älteren Sohn ein, umzukehren und in das Haus des Erbarmens und zum Fest der Freude heimzukehren. Ob er es tut, das lässt das Gleichnis offen.
Wir aber sind eingeladen, uns vom Vater im Himmel aus Bitterkeit und Härte herauslocken zu lassen, und

4 den mütterlichen Vater in uns zum Zug kommen zu lassen.

Das meint Jesus, wenn er sagt: "Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist."[5] „Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!“ [6] Oder „Darum lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer.“[7] So handelt und will es Gott. Jesus handelt danach.

Gott geht in seiner väterlichen und mütterlichen Liebe noch einen Schritt weiter. Sollte das Unmögliche tatsächlich eintreten, dass eine Mutter ihr Kind, ihren leiblichen Sohn vergisst, lässt uns Gott durch den Propheten Jesaja sagen: „Und selbst wenn sie ihn vergessen würde: ich vergesse dich nicht.“[8]

Dies das Neue, Einzigartige, alle bisherige Lebenspraxis auf den Kopf stellend: Wie der Vater im Gleichnis werden die Jünger und Jüngerinnen Jesu, werden wir mit warmherziger Offenheit auf verlorene gestrandete Menschen zugehen, sie in die Arme schließen, ohne ihnen Vorhaltungen zu machen.

In jedem von uns ist die Fähigkeit, andere aufzurichten, ihnen einen Raum zu öffnen, in dem sie sich zuhause fühlen und nicht bedrängt, nicht übersehen, nicht verurteilt werden.
Das Gleichnis haben wir erst dann wirklich verstanden, wenn wir nicht nur Gott als den barmherzigen Vater und als gütige Mutter bewundern und froh sind, dass er so mit uns umgeht, sondern wenn wir selbst bereit sind, so zu werden.
Manche bleiben ihr Leben lang ein abhängiges Kind, das Zuwendung braucht. Wer jedoch erwachsen geworden ist, kann als väterlicher und mütterlicher Mensch um sich einen Raum des Erbarmens schaffen, in dem sich verlorene Menschen wieder finden, Erstarrte wieder lebendig werden.

Rembrandt (1606-69) Der barmherzige Vater und der verlorene Sohn
Rembrandt (1606-69) Der barmherzige Vater und der verlorene Sohn
Rembrandt hat kurz vor seinem Tod selber verarmt und krank ein wunderbares Bild vom barmherzigen Vater gemalt. Wie der Vater auf dem Bild Rembrandts sollen wir es wagen, unsere Hände segnend über andere zu halten. Lukas fasst diese Botschaft Jesu so zusammen: "Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!" [9]
In jedem von uns ist ein barmherziger Vater, eine sich erbarmende Mutter, deren Herz und Tür immer offen ist für die Verlorenen, Gestrandeten; Ein Mann, eine Frau, die mit ihrer Liebe und heilenden Gedanken den verlorenen Sohn, die verlorene Tochter herbeisehnen, die den Verhärteten mit guten liebevollen Worten in ihre Nähe einladen. Von einem väterlichen oder mütterlichen Menschen ganz angenommen zu sein bedeutet Zuhause geborgen zu sein.
Dahin will uns das Gleichnis verwandeln.

Auch unsere irdischen Väter und Mütter brauchen sowohl das Erbarmen Gottes, wie auch das Erbarmen ihrer Kinder. Und sie brauchen es erst recht, wenn sie gestorben sind. Angesichts des Erbarmens Gottes können auch wir die Kraft aufbringen, zu vergeben oder selber um Vergebung zu bitten.

Wer versöhnt ist mit Gott, seinem himmlischen Vater, als Vater und Mutter mit seinen Kindern, als Sohn und Tochter mit seinen Eltern, in dem ereignet sich Frühlingsanfang und Ostern nicht nur im Kalender, sondern auch im Herzen, in seiner Familie, in der Pfarrgemeinde. Und wir sind durch das Evangelium Jesu eine neue Schöpfung geworden.

[1] Lk15,1-3.11-32
[2] Cig 2004/12
[3] Lk 15,30
[4] Lk 15,31
[5] Mt 5,48
[6] Lk 6,36
[7] Mt 9,13
[8] Jes 49,15
[9] Lk 6,36

 

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