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Lesejahr 2012 (B)

Homilie zu Gen 3, 9-15 und Mk 3,31-35 in der Sonntagvorabendmesse in St. Michael

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Gott ist die Mitte[1]
1 Alles scheint sich heute um den Menschen
   zu drehen.

1.1 Alle betonen, der Mensch stehe in der Mitte
       ihres Bemühens, ihres Interesses.
  • Ob als Produzent oder Konsument, ob als Arzt oder Patient, ob als Mann oder Frau, ob als Eltern oder Kinder, alle brauchen einander und sind aufeinander angewiesen. Fehlt aber die Mitte Gott, dann ist auch die einmalige von Gott geschenkte Würde des Menschen in Gefahr.
  • Er wird schnell zum Objekt zur Mitte von Begierden und Interessen. Entspricht er nicht mehr diesen Begierden und Interessen wird er wird einfach entsorgt, wie die täglich abgetriebenen Kinder, oder wie überflüssige kranke und alte Menschen durch sich human gebärdende Sterbehilfe. Natürlich gegen Gebühr.
1.2 Gottes-, Selbst und Nächstenliebe sind in
      der Botschaft Jesu untrennbar miteinander verknüpft.
  • Auf die Frage nach dem wichtigsten Gebot antwortet Jesus: „Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft. Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden.“[2] Dieses Wort Jesu bedenkend geht uns auf
2 Was die Mitte unseres Lebens ist
2.1 Die uns allen bekannte Bildgeschichte
      aus dem Alten Testament sagt uns, was
      geschehen ist und immer wieder geschieht.
  • Sie zeigt uns den Weg von der Unschuld zur Schuld und von der Schuld zur Angst. Die Flucht des sich selbstherrlich selbstverwirklichenden Menschen aus der Mitte in die Gottesferne ist das Thema der 1. Lesung.
  • Der erste Satz zeigt uns, wie der schuldige Mensch Gott aus dem Weg geht, wie aber Gott sich weiter um den Menschen kümmert und ihm nachgeht.
  • Nachdem Adam von der verbotenen Frucht des Baumes gegessen hatte, rief Gott, der Herr, ihm zu und sprach: "Wo bist du?"
  • Was ist mit dem Baum in der Mitte des Gartens und mit der Frucht des Baumes gemeint?
  • Der Mensch vergreift sich an der Mitte, er macht sich selber zur Mitte. Er reißt das Kostbarste an sich, anstatt es sich demütig schenken zu lassen. Er kann nicht wie Gott sein, er kann nur mit Gott sein.
  • Kurz nach dem 2.Weltkrieg nur drei Jahre nach dem Zusammenbruch der Naziherrschaft erschien 1948 ein Buch das großes Aufsehen erregte. Der Titel lautete
2.2 „Verlust der Mitte“[3]
  • Das Hauptproblem der Neuzeit in den westlichen Zivilisationen ist, der Mensch hat sich an die Stelle Gottes gesetzt. Nicht mehr Gott ist die Mitte, sondern der Mensch.
  • Er will selber bestimmen, was gut und was böse zu sein hat. Ja, er scheut heute nicht davor zurück, dem Schöpfer ins Handwerk zu pfuschen. Er sucht seine eigene Ehre und nicht die Ehre Gottes.
  • Das aber ist die Ursünde, das »peccatum originale«, die Ursprungssünde, aus der alle anderen Sünden kommen.
  • Der geheime Grund für den lautlosen Abfall vieler und für die sich leerenden Kirchen ist, dass sich die Menschen selber zur Mitte machen und gerade dadurch ihre Mitte verlieren.
  • Die Folge ist, sie gehen ruhe- und orientierungslos durchs Leben und die Ängste machen sich in der Seele breit. Die Zahl der seelisch niedergedrückten depressiven Menschen steigt ständig.
2.3 Der Mensch, der sich selbst zur Mitte macht, ist auf der Flucht vor Gott
  • Zugleich entdeckt er, wie elend und nackt er ist. Dies erkennend entwickelt sich der Ekel vor sich selbst und eine allgemeine Menschenverachtung, ein heute weit verbreitetes Lebensgefühl.
  • In einer letzten Auflehnung gegen Gott den Schöpfer und Vollender des menschlichen Lebens macht sich der Mensch durch Selbsttötung zum Herrn über Leben und Tod. »Selbstbestimmtes Sterben« nennt man diese Verirrung.
So degradiert sich der Mensch zur tragischen Figur. Wie zeigt sich diese Tragik?

3 Durch die Sünde entfernt sich der Mensch
   von Gott, von sich, von seinen Mitmenschen
   und von der Schöpfung

Die Wahrheit ist:
3.1 Der Mensch ist von Gott in ein bestimmtes
      Verhältnis zu ihm, zu den Mitmenschen und zu
      Gottes Schöpfung hineingestellt.
  •  Je nach dem, wie wir Menschen dieses Verhältnis gestalten, wird es uns zum Heil oder Unheil.
  • Das deutsche Wort Sünde kommt von sondern, absondern. Durch die Sünde entfremdet sich der Mensch von Gott, von sich, den Mitmenschen und von der Schöpfung. Er glaubt an seine Autonomie. Er möchte seine Pläne total durchsetzen, auch wenn sie zu seiner Vernichtung führen. Und das Schlimme ist, er verdrängt seine Schuld und schiebt den schwarzen Peter anderen zu.
  • Jeder Mensch soll zu einer selbständigen Person heranreifen, aber er darf es nicht losgelöst von seinem Schöpfer und Erlöser, auch nicht von seinen Mitgeschöpfen, gleichsam auf eigene Faust und er darf es nicht auf Kosten anderer.
  • Der Mensch, der Gott als seine Mitte aufgibt, verliert jegliches Vertrauen zu ihm.
  • Er macht es wie Kinder, die gegen den Willen ihrer Eltern sich verhalten und etwas ausgefressen haben, er schiebt anderen den Schwarzen Peter zu.
3.2 Immer sind die andern schuld oder gar Gott.
  • Immer raffinierter versuchen wir uns reinzuwaschen, so wie es Adam tut: „Die Frau gab mir". Und wer gab mir die Frau? Das warst doch Du, Gott! Also, sag selbst, wer hat nun die Schuld?
  • Hier fällt die ganze Menschheit im Chor ein. Wo warst Du, Gott, als Kain seinen Bruder erschlug? Wo warst du, als in ungezählten Kriegen Menschen getötet wurden? Wo warst du, als mich mein Leid traf, das so schwer wiegt?
  • Und dann sind da noch die anderen, die - solange es Menschen gibt - an allem Schuld sind. Für Adam, dem Mann, ist es die Frau; für die Frauen, die Welt der Männer, für Kinder sind es die Eltern, für den Einzelnen die Gesellschaft.
Es gibt eine schreckliche Entwicklung in der Menschheit:

3.3 Das System der Schuldzuweisung ist nahezu perfekt geworden.
  • Mit wissenschaftlicher Perfektion und schlauen Überlegungen gelingt es immer besser, von der eigenen Blöße abzulenken und die Anderen bloßzustellen, abzustempeln, anzuklagen. Der Teufelskreis des Bösen in der Geschichte ist zur undurchdringlichen Spirale geworden.
4 Gott aber fragt den Menschen: Wo bist du?
   Warum gibst du deine Mitte, mich, deinen
   Schöpfer und Erlöser auf?

  • Ich habe dir in Jesus meine Mitte gegeben und alle, die sich um ihn herum zusammenschließen und auf ihn hören, haben ihre Mitte wieder gefunden. Sie sind, wie er im heutigen Evangelium sagt „seine Mutter, seine Brüder und Schwestern“.
  • Komm zurück zu mir. Vertrau dich mir an. Mit meinem Erbarmen umhülle ich dich. Wirf deine Sorgen und Angst auf mich. Vertrau dich mir mit deiner Schuld und Deinem Scheitern an.
  • Die Bildgeschichte zeigt es uns: Gott verflucht nicht den Menschen, sondern die Schlange, das Symbol des Bösen.
  • Er sucht den Ausreißer, er geht dem Verlorenen nach.
  • Er ruft: Wo bist du? Lass dich doch finden. Nackt und elend bist du doch nur ohne mich, fern von mir.
Also werden wir jeden Tag neu aufbrechen

5 Die Mitte wieder suchen
 Im Lied sprechen wir singend zu Gott:
  • „Nun von dir selbst in Jesus Christ, die Mitte fest gewiesen ist, führ uns dem Ziel entgegen“.
5.1 Unsere Mitte ist Gott wie er sich in Jesus offenbart
  • Will ein Schütze einen Volltreffer landen, dann zielt er in die Mitte. Unsere Mitte - so hat es uns Jesus vorgelebt und verkündet - ist Gott, wie er sich Israel und uns In Jesus offenbart.
  • Als Person und miteinander in und aus dieser Mitte lebend, stehen wir selbst und der Mitmensch in der rechten Beziehung zueinander.
  • Helfen und achten wir einander, begegnen wir einander als Kinder Gottes, als Brüder und Schwestern. In ihnen will Jesus von uns geliebt werden.
  • Unsere Mitmenschen müssen durch uns erfahren, dass sie nicht im Focus unseres egoistischen Interesses stehen, sondern im Interesse der selbstlosen Liebe, die göttlich ist.
5.2 Beispiel Augustinus
  • Papst Benedikt hat bei seinem Besuch in Pavia, wo sich das Grab des Heiligen Augustinus befindet, diesen vor den Professoren und Studenten der berühmten Universität als einen Menschen bezeichnet, „der beseelt war vom unermüdlichen Wunsch die Wahrheit zu finden; herauszufinden, was das Leben ist, zu wissen, wie man leben soll, den Menschen kennenzulernen.“
  • Aber Augustinus ist nicht beim Menschen stehen geblieben, wie es weitgehend die heutigen menschlichen Wissenschaften tun. Darum fuhr Benedikt fort: „Eben aufgrund seiner Leidenschaft für den Menschen hat er notwendiger Weise Gott gesucht, weil nur im Lichte Gottes auch die Größe des Menschen, die Schönheit des Abenteuers Mensch zu sein, vollends aufscheinen kann.“
5.3 Das Evangelium verkündet uns Jesus
      als die neue verbindende Mitte.

  • Nicht allein die Bande des Blutes verbinden. Vielmehr verbindet durch die neue von Gott in Jesus geschenkte Mitte. Sich um ihn versammelnd und auf ihn und sein Wort hörend verbindet er uns mit sich und untereinander. Gehören wir zur Familie der Kinder Gottes. „Und er blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“[4]
  • Eins geworden mit Jesus in der heiligen Kommunion dürfen wir voller Zuversicht Gott singend bitten:
Der du allein der Ew’ge heißt
Und Anfang, Ziel und Mitte weißt
im Fluge unsrer Zeiten:
Bleib du uns gnädig zugewandt
Und führe uns an deiner Hand
Damit wir sicher schreiten. [5]
                                  
 
 

[1] Schrifttexte des Sonntags: 1. L Gen 3,9-15; 2. L 2 Kor 4,13-5,1; Ev Mk 3,20-35
[2] Mk 12,29-31
[3] kulturphilosophisches Buch des Kunsthistorikers Hans Sedlmayr (1896-1984)
[4] Mk 3,34 f.
[5] Gl 157/6
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