PredigtenÜbersichtLesejahr 2011 (A) Homilie zu ===>> zu den liturgischen Texten ===>> Gottesdiensvorlage ===>> Predigt im Orginalformat lesen oder herunterladen ===>> Predigt als Podcast nachhören oder herunterladen
Gott in allem und über alles lieben. (Tagesgebet) [1]
1. Seit Jahrtausenden bemühen sich die Menschen um Weisheit und Erkenntnis.
- Zu keiner Zeit sind die Menschen so tief in die Geheimnisse des Mikro- und Makrokosmos eingedrungen wie wir Heutigen. Wir sind stolz auf unser Wissen.
- Wir speichern es in Computern, weil unser Gehirn zu klein ist, um das alles zu behalten. Und doch macht uns die Fülle des Wissens eher unsicher denn sicher. Wir sagen zwar, "Wissen ist Macht" und das stimmt auch in vielen Bereichen, aber die Fülle dessen, was wir wissen oder wissen können, erdrückt uns auch.
- Wir wissen heute viel über unsere Welt und über den Menschen, aber was wissen wir von Gott? Noch nie in der Geschichte des Christentums sind so viele Bücher über Gott geschrieben und gedruckt worden, aber sind wir ihm näher gekommen?
- Für viele Zeitgenossen ist Gott denkbar fern, ferner als Lichtjahre entfernte Spiralnebel. Viele haben aufgehört, ihn anzureden, und wagen es nicht mehr "Du" zu ihm zu sagen.
2. Die Kirche redet im Tagesgebet Gott mit "du" an:
- „Barmherziger, Du". Das tut sie, weil sie weiß: Gott hat ein Herz für den Menschen. Dieses Herz ist voller Erbarmen. Und das erfahren wir in den drei Lesungen des heutigen Sonntags. Sein Haus ist offen für alle, die den Sabbat halten und an seinem Bund, an seinen Geboten festhalten[2], verkündet uns der Prophet Jesaja. Und Paulus belehrt uns: "Unwiderruflich sind Gnade und Erbarmen, die Gott gewährt."[3]
- Und Jesus selber hat ein Herz für die beharrlich bittende heidnische Frau, obwohl sie, wie manche in der urchristlichen Gemeinde aus Judenchristen meinten, nicht in seinen und ihren Zuständigkeitsbereich gehört.
Durch ihr Beten sagt uns die Kirche
2.1 Gott tut dem ihn Liebenden die Augen, die Ohren und das Herz auf.
- Wie der heilige Anselm von Canterbury dürfen wir uns Gott zuwendend sprechen: »Ich bekenne, Herr, und sage Dank, dass Du mich nach Deinem Bild erschaffen hast, damit ich Deiner eingedenk bin, an Dich denke, Dich liebe«.[4]
- Wer in dieser Haltung lebt, sieht, hört und empfindet neu. Das verborgene Geheimnis der Weisheit Gottes tut sich ihm kund. Er erfährt und erlebt Dinge, die dem ichhaften Weltmenschen fremd sind. Und darum sagt Paulus: "Wir verkünden Weisheit unter Vollkommenen."[5] Alles menschliche Reden von Gott sagt denen nichts, die nicht eingeweiht sind, die nicht lieben. Er, nach dessen Bild wir geschaffen sind, lässt aber das Herz derer höher schlagen, die vollkommen sind. Das sind diejenigen, die sprechen: "Barmherziger, Du!"
- Mit Vollkommenheit ist nicht Perfektionismus auch nicht politisches und wirtschaftliches Durchsetzungsvermögen gemeint. Vor Gott ist weise, wer vom Christi erfüllt sein Leben führt und sich und seine Mitmenschen dem abgrundtiefen Erbarmen Gottes anvertraut. Mit dem Psalm 119 darf jeder beten „Dein Erbarmen komme über mich, damit ich lebe.“[6]
2.2 Der Christ weiß, ein liebeoffenes Herz ist nicht machbar
- Weder durch Erziehung noch durch eigene Leistung. Wenn wir mit dem hl. Augustinus singen, "Ich will dich lieben meine Stärke", so werden wir das sehr demütig tun, denn die Liebe, diese letzte und tiefste und ursprünglichste aller christlichen Haltungen, ist ganz und gar eine Gabe Gottes. Darum lehrt uns das Tagesgebet, um die Liebe zu bitten, der Großes verheißen ist. Nämlich: „was kein Auge geschaut und kein Ohr gehört hat, hast du denen bereitet, die dich lieben.“[7]
- Wir klagen darüber, dass manches unserer Kinder und Enkel so wenig mit Gott und der Kirche im Sinn zu haben scheinen. Klagen bringt uns nicht weiter. Wir sollten vielmehr um die Gabe der Liebe für sie beten. In der Einleitung des Rosenkranzgebetes bitten wir mit Maria um die drei göttlichen Tugenden: „Der in uns den Glauben vermehre, der in uns die Hoffnung stärke, der in uns die Liebe entzünde.“
- Mancher klagt heute, dass er so wenig von Gott spüre, dass er beim Beten und im Gottesdienst nichts empfinde. Das hängt mit dem Herzen zusammen, das aus sich heraus sich oft schwer tut, zu lieben.
- Falsches gottfernes Denken und liebloses Handeln können die Liebesfähigkeit des Herzens blockieren. Darum mahnt uns der Epheserbrief: „Gebt dem Teufel keinen Raum!“[8] Wende dich nicht resigniert ab und klage nicht. Vielmehr bete: "Herr, gib mir ein Herz, das dich in allem und über alles liebt."[9]
2.3 Es gibt eine Liebe zu Gott, die Gott über alles liebt.
- Alle irdische Liebe ist nur ein schwacher und oft durch die Sünde getrübter Abglanz der göttlichen Liebe. »Wenn ich Gott willentlich liebe, so gestalte ich mich selbst in Ihn um«, sagt der Bernhard von Clairvaux.[10]
- Der heilige Bonaventura, der größte franziskanische Theologe des Mittelalters ermutigt uns eingedenk unserer von Gott geschenkten Würde zu unserer Seele zu sagen »Erkenne also, meine Seele, welch wunderbare und unschätzbare Würde es ist, nicht allein eine Spur des Schöpfers zu sein, wie es allen Geschöpfen zukommt, nein auch Sein Bild, was nur dem vernunftbegabten Geschöpf eignet.«[11]
- Auch die Verheißung, "was kein Auge geschaut und kein Ohr gehört hat, hast du denen bereitet, die dich lieben", bezieht sich nicht nur auf das zukünftige Himmelsglück, sondern bei Paulus im 1. Korintherbrief ausdrücklich auf unser Christsein hier und heute. Darum werden auch in die Bitte um Liebe das gegenwärtige Leben und die von Gott geschaffene Welt mit einbezogen: "Gib uns ein Herz, das dich in allem und über alles liebt."
- Die Liebe, die Gott uns schenkt, will uns dazu befähigen, in allem, was liebenswert ist in Menschen und Dingen, etwas von dem Abglanz des göttlichen Glanzes zu sehen und wahrzunehmen. Ja, das zeichnet den Christen aus: Durch alles hindurch IHN, der Ursprung und Ziel unseres Lebens ist, zu erkennen und über alles zu lieben.
Was Angelus Silesius von der Rose gesagt hat, scheint hierher zu gehören:
"Die Rose, die allhier dein Auge sieht, die hat in Gott von Ewigkeit also geblüht."
- Weil die Dinge und Menschen aus Gottes schöpferischer Liebe hervorgegangen sind, können wir im Glanz einer Rose, im Blühen einer Blume, im Aufgehen der Sonne, in der Glut des Abendrots, in der zärtlichen Liebe eines Menschen den Glanz des unsagbar liebenswerten Gottes entdecken.
2.4 So denkend und betend darf sich der Christ schon jetzt als ein von der Liebe Gottes Beschenkter erfahren
- Er wird immer neue Spuren der Weisheit und Liebe Gottes in dieser Welt entdecken und sich daran dankbar freuen. Wir haben also allen Grund zu jubelnder Freude. Bonaventura ruft uns zu »Steh auf und lobsinge, frohlocke und freue dich, denn du bist mit dem Bildnis Gottes gezeichnet, geschmückt mit Seiner Ähnlichkeit, teilhaft der Vernunft, fähig zur ewigen Seligkeit«[12].
- Ja, wir können die Größe und Herrlichkeit dessen erahnen, was Gott uns schenken wird, wenn wir ganz mit Jesus Christus bei ihm sind. Christus ist ja der Weg zum Vater.[13]
- Gott will mit seinem Licht schon jetzt in unseren Herzen aufleuchten. Deshalb werden wir jeden Tag die Freundschaft mit Jesus Christus pflegen, „damit wir erleuchtet werden zur Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi.“[14]
- Wenn uns schon der Abglanz der göttlichen Weisheit und Liebe so froh und glücklich macht, wie viel mehr werden wir erst dann selig sein, wenn wir ihn von Angesicht zu Angesicht schauen dürfen. Dieses ganz bei ihm sein wird alles übersteigen, was wir ersehnen. Wagen wir also immer wieder die ehrfürchtige und liebende Anrede: Barmherziger, Du!
3. Zeichnen Sie mir Gott!
- Verlangte der Psychotherapeut von seiner Patientin. Sie rief: Wie kann ich zeichnen, was ich nicht gesehen, nicht gefasst, nicht begriffen habe?
Er schwieg. Sein Gesicht blieb hart. Unwirsch zog sie einen Kreis über Blatt und Tisch, Sonne, Erde und Gestirn.
„Nun geben Sie ihm einen Namen, bezeichnen Sie Gott.“
- „ER ist zu groß, zu herrlich“, murmelte sie, „zu vollkommen schön. Ich finde keine Worte.“ „Denken Sie nach: Wie lassen sich Vater und Mutter, Bruder und Schwester, Freund und Geliebter benennen?“ Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen und flüsterte: „DU! DU! DU!“
[1] 20. Sonntag im Jahreskreis A 1984 Neunkirchen, Großenbuch (Erstfassung) [2] Jes 56,6 [3] Röm 11,29 [4] Anselm in Proslogion, zitiert bei Bonaventura, Soliloquium S. 27 [5] 1 Kor 1,6 [6] Ps 119,77 [7] vgl. 1 Kor 2,9 [8] Eph 4,27 [9] Tagesgebet [10] Bonaventura, Soliloqium S. 17 [11] ebd. S. 27 [12] Bonaventura ebd. S. 27 [13] Joh 141,6 [14] 2 Kor 4,6
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