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Predigten

Zu einer Silberhochzeit

 

Beziehung - das Gefährt der Liebe

1 Wir leben in Beziehungen

In Alpha war ich vor wenigen Tagen Zeuge eines Gesprächs zwischen dem Astrophysiker Prof. Lesch und dem katholischen Theologen Thomas Schwartz. Prof. Lesch meinte, das Universum sei unendlich fein aufeinander abgestimmt. Und Leben auf unserem Planeten sei nur durch ein gewaltiges Geflecht von fein aufeinander abgestimmten Beziehungen möglich. Der Theologe meinte, dass die Frage nach dem Warum, Wieso, Wohin, darauf hinweise, dass die Welt nicht nur naturwissenschaftlich erklärbar sei. Dass der Mensch diese Fragen schon immer gestellt hat, sei ein Grund nach Gott, dem Ursprung und Ziel des Seins, zu fragen.

Beziehungen spielen im Leben der Menschen eine entscheidende Rolle. Die Spannbreite dieses Wortes ist freilich groß. Ich kann eine Beziehung pflegen, weil ich mir davon einen Vorteil verspreche bis hin zur Komplizenschaft, wo eine Hand die andere wäscht. Es gibt lockere Beziehungen, die letztlich unverbindlich sind.

Und es gibt die aus der Tiefe unseres physischen und psychischen Seins aufblühende Liebesbeziehung, die uns ganzheitlich erfasst und im wahrsten Sinn unter die Haut geht.

Als Christen leben wir aus der Beziehung zu Jesus, dem Messias Gottes. Aus seinem Mund hören wir, dass er uns mit der bedingungslosen Liebe des Gottes Israel, den er seinen Vaters nennt, liebt. Und er verheißt uns, wenn wir so wie er aus der Liebe Gottes leben und sie an einander weiterschenken, dass dann seine Freude in uns ist. Ja, noch mehr dass dann unsere Freude vollkommen wird.
Alles hängt 2. davon ab, dass wir

 2 Unsere Beziehungen richtig leben.

Keiner von uns kann ohne Beziehungen leben. Jeder von uns braucht das Angesprochensein durch ein Du. Denn keiner von uns ist das Ganze. Das Du befähigt uns erst zur vollen Menschwerdung. Ein Baby, das nicht angesprochen wird, verkümmert und lernt nicht sprechen, sich menschlich mitzuteilen.

Ohne das göttliche Du wären wir wie Eintagsfliegen ohne Woher und Wohin, vergessen für immer. Der jüdisch-christliche Schöpfungsglaube sagt uns, dass Mann und Frau nach dem Bilde Gottes geschaffen sind. Beide zusammen ergeben erst das Bild Gottes und damit die wahre Gestalt des Menschen. Und das ist die beglückende Erfahrung des Glaubenden: Wenn wir die Größe und Heiligkeit des Schöpfers erkennen und anerkennen, erschließt sich uns die einmalige Würde eines jeden Menschen.

In Euerer über 25 Jahre währenden Beziehung ging es um jene von dem Astrophysiker Prof. Lesch genannte Feinabstimmung, die nicht nur im Kosmos, sondern auch in einer Ehe Leben, Bestand und Wachstum des Lebens, Fülle des Lebens erst ermöglicht. Was bringt uns auf diesem Weg voran?

2.1 Beziehungen verlangen Offenheit

"Da ist zunächst das Hören", sagt Josef Ratzinger. "Es ist ein Vorgang des Öffnens, des Offenwerdens für das andere, den anderen, die andere. Vergegenwärtigen wir uns, welche Kunst es ist, wenn jemand zuhören kann. Das ist nicht eine Fertigkeit wie das Bedienen einer Maschine; es ist ein Sein-Können, in dem die Person als ganze angefordert ist.

Hören bedeutet, den anderen erkennen und anerkennen, ihn in den Raum des eigenen Ich hereintreten lassen, bereit sein, sein Wort und darin sein Sein zu assimilieren ins Eigene und so, umgekehrt, sich ihm zu assimilieren: Nach dem Akt des Hörens bin ich ein anderer, ist mein eigenes Sein bereichert und vertieft, weil es zusammengeschlossen ist mit dem Sein des anderen und darin mit dem Sein der Welt."

Die Kunst des Hörens haben heute viele verlernt. Das Laute triumphiert. Es deckt uns zu. Das Herz aber braucht die leisen, zarten Töne, soll es im Takt bleiben.

Soll Ehe zur Feinabstimmung finden und zur vollen Entfaltung beider Partner führen, so ist ein zweites bedenken:

2.2 Beziehungen ereignen sich im Dialog.

"Wenn wir vom Dialog im eigentlichen Sinn reden," sagt Joseph Ratzinger, "dann ist ein Wort gemeint, in dem etwas vom Sein selbst, die Person selber zur Sprache kommt, so dass nicht nur die Menge des Gewussten und des Gekonnten vermehrt, sondern das Mensch-Sein selber berührt, das Sein-Können des Menschseins gereinigt und vertieft wird."

Gott hat uns nur mit einem Mund, aber mit zwei Ohren und zwei Augen geschaffen sind. Das bedeutet, dass wir doppelt soviel hinsehen und hinhören sollen als reden.

Das gilt dem geliebten Menschen als auch Gott, unserem Ursprung und Ziel unseres Lebens gegenüber. Es gäbe viel weniger zerbrochene menschliche Beziehungen und gescheiterte Ehen, wenn sich Partner das im wahrsten Sinn des Wortes hinter die Ohren schreiben würden.

Und Ihr habt sicher die Erfahrung gemacht, wie sehr es darauf ankommt die Offenheit und den Dialog zu pflegen.

Der 1. Brief des Apostels Paulus an die Korinther enthält als marginale Aussage: Gott hat uns viele Gaben geschenkt. Die wichtigste ist, lieben zu können und es immer mehr zu lernen.

Es stimmt, was Theodor Körner einmal geschrieben hat: „Erst seit ich liebe, weiß ich, dass ich lebe.“

Des dem hohen Lied 1 Kor 13 vorausgehende 12 Kapitel spricht von den Gaben des Geistes. Jeder soll seine Gabe so einsetzen, dass sie dem anderen nützt.

Jeder von Euch hat seine speziellen Gaben und Fähigkeiten, damit konntet Ihr einander ergänzen und einer dem anderen zum Leben helfen. Wer diese Gaben als Geschenk Gottes erfährt, wird sie nicht zur eigenen Machtmehrung oder Überlegenheit nutzen, sondern zum Weiterschenken an seinen Partner.
Für das Gelingen einer dauerhaften fein abgestimmten Beziehung ist als Drittes ist festzuhalten:

2.3 Beziehungen brauchen Askese

Askese kommt vom Griechischen »Askenein« und heißt »üben, kunstvoll verfertigen«. Eine Liebesbeziehung ist also ein künstlerischer Akt und der muss immer wieder geübt werden. Das gilt nicht nur für Musiker, sondern erst recht für Liebende, und ganz besonders für langjährige Eheleute.

Dieses künstlerische Tun ist etwas anderes als Selbstdarstellung, von der Paulus am Anfang seines Hohen Liedes der Liebe spricht. Jene zeigt sich in dem Hang, sich zu produzieren, sich darzustellen, sei es durch Reden, durch Wissen, oder durch schonungslosen Einsatz.

Ohne die Liebe nützt das alles nichts, geht es ins Leere. Was die Liebe vor allem braucht, ist ein langer Mut, ist Respekt, Rücksicht, also dieses Sich zum Andern Umdrehen, ob er denn noch da ist und mitkommt.

Die Liebe lebt von der Ehrfurcht: dass ich mich fürchte, die Ehre und Würde des Partners zu verletzen. Die Liebe lebt von der Zärtlichkeit der Worte, der Taten, der Gesten. Zärtlichkeit sagt: du bist wertvoll, du bist kostbar.

Die Liebe, das sind die ausgebreiteten Arme: ich bin offen für Dich. Du bist mir willkommen. Ich erwarte dich. Ich freue mich auf dich. Das sind aber auch Euere gemeinsam ausgebreiteten Arme, die Eueren Kindern sagen: Ihr seid uns immer willkommen bei Misserfolg genauso wie bei Erfolg.

Aber die geöffneten Arme dürfen nicht zu einer nicht mehr loslassenden Umklammerung werden. Ich muss den geliebten Menschen auch wieder loslassen, damit er nicht an meiner Liebe erstickt. Eltern müssen ihre Kinder langsam loslassen, damit sie eigenverantwortlich und selbstständig leben lernen.

Beziehung braucht Askese, das Einüben des rechten Maßes, dann taugt sie für ein glückliches Ehe- und Familienleben. Nach abendländischem Verständnis besagt Tugend ein Verhalten, das in der Mitte liegt zwischen zwei Extremen: zwischen dem Mangel und dem Übermaß.

Liebe darf nicht erdrücken. Sie braucht auch ein gewisses Maß an Distanz. Damit ist keine Relativierung der Nähe gemeint. Distanz ist vielmehr das notwendige Gegenstück. Auf Dauer lässt sich nämlich Nähe nur leben, in ihrem Reichtum auskosten - und auch ertragen, wenn sie gepaart ist mit der je angemessenen Distanz. Diese Erfahrung bleibt keiner Ehe und keiner Freundschaft, aber auch keiner Eltern-Kind-Beziehung erspart.

Das ist kein Zufall. Denn Beziehung hat etwas mit der Freiheit und Personalität des Menschen zu tun. Und deshalb darf keine Beziehung unter Menschen so total sein wollen, dass sie Freiheit aufhebt und erstickt. Auch in höchster Verbundenheit bleibt ein Raum von Einsamkeit, den nur Gott ausfüllen kann, ohne die Freiheit und Würde des Menschen zu zerstören.

Darum muss in einer Beziehung jeder Partner dem anderen sein innerstes Geheimnis lassen. Deshalb muss jeder darauf verzichten, den anderen nach seinem eigenen Bild und Gleichnis ummodellieren zu wollen. Deshalb darf niemand versuchen, den anderen offen oder geheim an sich zu binden und ihn in Abhängigkeit zu halten.

Ein viertes ist unverzichtbar bei der das Leben ermöglichenden Feinabstimmung. Und denke, auch darin werdet Ihr Euere Erfahrungen gemacht haben:

2.4 Beziehungen brauchen Vergebung

Nun ist keine menschliche Beziehung, auch nicht eine Ehe gegen Beziehungsstörungen gefeit. Die Bibel versteht Sünde als Beziehungsstörung, wie ja schon das deutsche Wort Sünde auf »sondern« mit seinen Varianten »aussondern oder absondern« zurückweist.

Beziehung besteht nicht ohne Verzeihung. Ich kann nicht mit Menschen zusammen leben ohne Verzicht auf den Gegenschlag, auf Rache, auf eine zu fordernde Sühneleistung und Demütigung des Schuldigen, der mich verletzt hat oder mir etwas schuldig geblieben ist. Aber verzeihen - wie macht man das?

Für den Glaubenden besteht die Zusage, dass wir einander vergeben können, weil Gott uns durch Christus vergeben hat und vergibt. Weil ich selber vom Erbarmen Gottes lebe, kann ich selber ein Erbarmender und Vergebender sein.

Viele Ehen zerbrechen an der Unvereinbarkeit zweier Lebensarten, halten die Enttäuschung nicht aus und den Verzicht auf liebe Vorstellungen. Die Verletzung des Lebensgefühls nimmt man leicht dem Partner übel, als von ihm verschuldet, der doch auch auf sein eigenes Leben schauen muss und sich nicht einfach aufgeben kann.

Und da sind da noch die Kränkungen. Sie können nur in einem längeren Prozess verarbeitet werden, so dass am Schluss die ehrliche Verzeihung steht. Es ist dem Trauern vergleichbar: etwas muss losgelassen, eine Illusion aufgegeben und eine neue Beziehung zum Partner aufgebaut und angenommen werden. Eine Frau sagte mir: „Als mein Mann mich wegen einer zugefügten seelischen Verletzung aufrichtig um Verzeihung bat, da wusste ich, dass er mich wirklich liebt.“
Zum Schluss noch das Wichtigste:

2.5 Gott, der Ich-Bin-Da, ist das tragende Fundament der Beziehung

So wie er für uns, seine Geschöpfe, seine Töchter und Söhne, die wir in der Taufe geworden sind, im Leben und im Sterben da ist, so habt versucht in Verantwortung vor ihm für einander da sein. Ich weiß, das hat Euch durch die Jahre getragen und Euere Liebe wachsen lassen.

Ehe gelingt, wenn beide auf dem festen Fundament der Liebe Gottes stehen, aus seiner Liebe leben, die uns in Jesus von Nazareth ihr menschliches Antlitz gezeigt hat.

Deshalb ist die beiderseitige Gottesbeziehung so wichtig. Ihr spürt es heute mehr denn je: Es würde Euerer Beziehung etwas Wesentliches fehlen, wenn das Fundament Eueres Ehelebens nicht das gemeinsame vor Gott-Sein wäre. Denn dann würde sich das Gemeinsame nur im Ich gründen, das nur zu oft ein Abgrund ist.

Ist unsere menschliche Liebe in Gott, in der ewigen Liebe gegründet, dann kann sie auch Unvollkommenheit, Begrenztheit, Unvermögen aushalten. Denn dann erwarte ich von meinem Partner nicht alles, was letztlich doch nur Gott geben und sein kann. "Niemand kann mein Alles sein," sagt im seidenen Schuh von Paul Claudel die Proesa zu ihrem geliebten Rodrigues.

Menschen, die sich lieben, gehören einander an, aber sie gehören sich nicht, schon gar nicht als Besitz, sondern als Gefährten. D.h. Ihr seid seit 25 Jahren miteinander auf Fahrt zu einem großen Ziel, der Fülle des Lebens im dreifaltigen und dreieinigen Gott, in dem unser Selbstsein und unser Einssein sich vollendet.
Die in diesem vergänglichen Leben und in einer Ehe gelebte Liebe bleibt ewig, weil sie göttlich und damit ewig ist.

Euere fein abgestimmte Liebesbeziehung möge auch in den nächsten 25 Jahren und darüber hinaus das Gefährt der Liebe sein, in dem ihr Euch auf das Bleibende und Unvergängliche zubewegt.

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