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Mensch / Menschenbild
Lothar Penners

1. Existentielle und essentielle Dimension
2. Vision vom "neuen Menschen"
3. Menschenkunde, Humanwissenschaften, Metaphysik
4. Metaphysik und (Heils-)Geschichte
5. Das Menschliche und der "neue Mensch in der neuen Gemeinschaft"

Die Thematik Mensch, Menschenbild ist neben "Gott und allem Göttlichen" die Mitte im Denken und Wollen Pater Kentenichs; sein spiritueller, pädagogischer und soziologischer Entwurf kreist um die Frage der Verbindung des "ganzen Göttlichen mit dem ganzen Menschlichen". Seine Bestrebungen sind ein permanenter Mitvollzug der dialogischen Reflexion der Offenbarungsgeschichte: "Was ist der Mensch, dass du (Gott) seiner gedenkst?" (Ps 8,5).

1. Existentielle und essentielle Dimension - Das Kreisen P. Kentenichs um den Menschen kennt eine umfassende lebensmäßige wie grundsätzliche Komponente: Wurzelnd in "weit verzweigtem Einfühlungsvermögen" und der Fähigkeit zu tief greifender Begegnung und Kommunikation ist es stets genährt aus lebendiger Anschauung und Erfahrung der vielen "Seelenbilder" der Menschen, die er aufnahm und in sich trug in ihren Konturen und Komponenten, Konstanten und Wandlungen auf ihrem Reifungs- und Schicksalsweg zwischen Welt und Gott. "Tag und Nacht...lebte er in seiner geheimen Werkstatt ausschließlich für die Seelen". Sein letztlich seelsorgerlich motiviertes Interesse am Menschen stellt ihn indessen mitten hinein in die anthropologischen Fragen seines Jahrhunderts, vornehmlich des Streites um ein gültiges Bild vom Menschen, aber auch essentieller Fragen anthropologischer Theoriebildung.

2. Vision vom "neuen Menschen" - anthroplogische "Häresien" und Aufbrüche - Im Ringen seiner Zeit um den Menschen ist J. Kentenich kein neutraler Beobachter. Er tritt an mit einer reflexiv geklärten Option für das christliche Menschenbild in zeitgemäßer Realisierung mit seiner frühen "Vision" von einem neuen Menschentyp. Er kommt in zunehmendem Maße zu der Überzeugung, dass die "anthropologischen Häresien" die zentrale Herausforderung für Humanität und Religiösität darstellen. In seiner Reflexion widmet er dem Phänomen der Vermassung intensive Aufmerksamkeit. Entheimatung und Nivellierung der menschlichen Person in der Anonymität der modernen Gesellschaft und in programmatischem "Bolschewismus" ist für ihn so etwas wie das Zentrum einer Verfehlung des genuin Menschlichen. Diese für Gegenwart und Zukunft auf vielerlei Weise und von unterschiedlichen Faktoren aus gegebene grundlegende Herausforderung sucht er positiv zu beantworten in seiner Theorie und Praxis von einem neuen >>Bindungsorganismus. Seine Auseinandersetzung mit Kulturtheoretikern dieses Fragebereiches (H. de Man, Ortega y Gasset, M. Picard...) tritt besonders ins Blickfeld.

Unter den Zeitströmungen, mit denen sich J. Kentenich im Hinblick auf Lebensgefühl und Menschenbild besonders auseinandersetzt, ist namentlich der Existentialismus in seinen verschiedenen Spielarten zu nennen( Heidegger, Jaspers, Wust, G. Marcel). Dass J. Kentenich die Strömung des dialogischen Personalismus ausdrücklich zur Kenntnis nimmt, darf erwartet werden, den er selbst in seiner Bündnisspiritualität und -pädagogik in so grundlegender und umfassender Weise entwickelt, dass er selbst unter die besonders profilierten Vetreter zu rechnen ist.

Im Ganzen der anthropologischen Fragestellung weiß J. Kentenich reflexiv um Erbe, Größe und Grenze des abendländischen Menschenbildes und dessen Prägung durch die Geist-Metaphysik bis hin zur "überspitzten Geistigkeit". Dessen "Entideologierung" durch Marx (materielle Grundierung), Freud (Tiefenbereich: Triebe, Gefühle und Strebungen) und Nietzsche (Demut, Wille zur Macht) greift für ihn tendenziell fehl (Geist bleibt unersetzbarer Steuerungsfaktor), wirft aber die anthropologische Fragestellung verschärft auf, vor allem hinsichtlich der naturhaften Anteile in der menschlichen Person. Insgesamt erfolgt die Reaktion J. Kentenichs auf die anthropologischen Häresien und neuen Sichtweisen des Menschlichen aus der Perspektive einer organischen Ganzheitsschau, die neue Fragestellungen zulässt, aber klare Bezugspunkte für deren Einordnung festhält.

3. Menschenkunde, Humanwissenschaften, Metaphysik - Das anthropologische Interesse J. Kentenichs steht im Dienst der Erziehung. Die Befähigung zu Selbst- wie Fremderziehung setzt Menschenkenntnis voraus, um "sicher zu greifen". Dabei geht es J. Kentenich im Blick auf die Praxis zunächst um eine durchaus vorwissenschaftliche Erfassung der Wirklichkeit des Menschlichen, zu der er anleitet und Orientierungshilfen gibt (vgl. etwa: Temperamentenlehre, Hauptleidenschaften, "Seelenkräfte", Typologie der Geschlechter etc). Diese praxisorientierte Menschenkunde gehört zur Signatur seiner Geistigkeit und Gründung.

Sich selbst und nachfolgend seine Gründung als Erziehungsbewegung stellt er jedoch unter die Maxime, die "gesicherten Ergebnisse" der Psychologie, Soziologie und Biologie, d.h. wohl der Humanwissenschaften insgesamt, zu rezipieren, "anzuwenden" im Sinne einer kontinuierlichen Vermittlungsinstanz von "Wissenschaft und Leben". Er zielt damit offensichtlich auf das Konzept einer pädagogischen Anthropologie, das diese nicht als regionale Anthropologie neben anderen sieht, sondern als Konvergenzpunkt anthropologischen Wissens an der Nahtstelle von Theorie und Praxis.

Die für notwendig erachtete Erweiterung des anthropologischen Wissens (gegenüber der christlichen Tradition und Theologie) kreist bei J. Kentenich schwerpunktmäßig um die "Psychologie". In einer psychologisch-verstehensmäßig erweiterten Sicht des Menschen (seiner Alterstufen, Aufgaben, Lebensbereiche, Werdegesetze und des Transzendenzbezuges sieht Kentenich offenbar den entscheidenden Schritt über eine lediglich philosophisch-theologische Wesenslehre des Menschen hinaus.

Die "Metaphysik" als letzter Horizont von Menschenkunde und Humanwissenschaften kreist um zwei Fluchtpunkte: den Menschen als "Mikrokosmus" der verschiedenen Seinsstufen und das (pädagogische!) Verhältnis der gegebenen Schichten (vgl. "Durchgöttlichung, Durchgeistigung, Durchsittlichung und Durchseelung") auf der einen und als dialogisches Wesen auf der anderen Seite: der Mensch - "ein Wesen, das Ich und Du sagen kann und will und muß". Beide Dimensionen durchziehen nochmals die verschiedenen Bereiche von "Natur und Gnade". So finden sich Äußerungen bei J. Kentenich, welche die Gnade als "Schicht" bezeichnen, damit offenbar das Erlöst sein als reale Gegebenheit veranschlagend (dogmatisch gesehen, die "geschaffene Gnade") im Zueinander von naturhafter, natürlicher und - eben - übernatürlicher Liebe.

Die dialogische Wesensanlage ("Bündnisfähigkeit") des Menschen findet ihre Sinnerfüllung im Bund mit Gott, der ihn zum "originellen Dreifaltigkeitspartner" macht. Inbild der wesensmäßigen Offenheit des Menschen zum Anderen, zur Welt und zu Gott (potentia oboedientialis) und faktisch-heilsgeschichtlicher Verbindung ist >>Maria. Sie ist die Verkörperung der gnadenhaft verwirklichten Harmonie im Menschen (d.h. der angelegten Seinsschichten) wie der dialogischen Erfüllung des Menschen im Bund mit Gott.

Im Rahmen dieser letzten Bezugspunkte kennt J. Kentenich auch eine "Metaphysik" typologischer Wesensgrößen, etwa der >>Frau, des >>Mannes, der >>Kindlichkeit etc.

4. Metaphysik und (Heils-)Geschichte - Die volle Entfaltung der "Uridee" des Menschen ist für J. Kentenich gebunden an die Universalgeschichte: die Wesensnatur des Menschen ist durch Gott so gefüllt, dass nur die Gesamtheit der originell geprägten Epochen und ihrer Menschenbilder den ganzen Reichtum der göttlichen Planung erkennen lässt. Der Mensch ist wesenhaft ein "animal historicum", wie er animal rationale, sociale et religiosum ist.

5. Das Menschliche und der "neue Mensch in der neuen Gemeinschaft" - Das Gesamt der anthropologischen Bemühung Pater Kentenichs dient der Zielsetzung des >>"neuen Menschen in der neuen Gemeinschaft". In ihr verknüpft er die überzeitliche Idee des geoffenbarten Menschenbildes ("neue Schöpfung") mit der heute aufgegebenen anthropologischen Differenzierung ("geistbeseelt", "idealgebunden"...), seiner epochenbedingten Subjektwerdung(Freiheit) und pädagogischen Realisierung.

Literatur:

J. Kentenich, Vorgründungsurkunde vom 27.10.1912, in: Schönstatt Die Gründungsurkunden, Vallendar-Schönstatt 1967, 9-20

J. Kentenich, Vollkommene Lebensfreude. Priesterexerzitien (7.-13. Oktober 1934), Vallendar-Schönstatt 1984

J. Kentenich, Der erlöste Mensch. Priesterexerzitien 1935/1936, verv.S, A 4, 112 S.

J. Kentenich, Kindsein vor Gott. Priesterexerzitien 1937, Vallendar-Schönstatt 1979

J. Kentenich, Kampf um die wahre Freiheit. Priesterexerzitien (7.-10. Januar 1946), verv., A 5, 267 + 5 S.

J. Kentenich, Das katholische Menschenbild. Tagung 1946, verv. A 5, 121 S.

J. Kentenich, Brief zum 18. Oktober 1948. Oktoberbrief 1948, Auszüge in: Schlosser, Herta, Der neue Mensch - die neue Gesellschaftsordnung. Mit Originaltexten von Pater Josef Kentenich im zweiten Teil, Vallendar-Schönstatt 1971

J. Kentenich, Oktoberbrief 1949 an die Schönstattfamilie, Vallendar 1970, 196 S.

J. Kentenich, Daß neue Menschen werden. Eine pädagogische Religionspsychologie. Vorträge der Pädagogische Tagung 1951. Bearbeitete Nachschrift, Vallendar-Schönstatt 1971, 264 S.

J. Kentenich, Schlüssel zum Verständnis Schönstatts (September 1951), in: J. Kentenich, Texte zum Verständnis Schönstatts. Herausgegeben von Günther M. Boll, Vallendar-Schönstatt 1974, 148-228

J. Kentenich, Maria - Mutter und Erzieherin. Eine angewandte Mariologie (Fastenpredigten 1954), Vallendar-Schönstatt 1973, 456 S..

H. Schlosser, Der Mensch im Marxismus und in der Schönstattbewegung, Regnum 5 (1970) 159-167

6 (1971) 12-24. 82-93. 116-125. 167-174.

B. Casper, Das dialogische Denken. Eine Untersuchung der religionsphilosophischen Bedeutung F. Rosenzweigs, F. Ebners und M. Bubers, Freiburg 1967

G. Küenzlen, Der Neue Mensch. Zur säkularen Religionsgeschichte der Moderne, München 1994

U. Kühn, Natur und Gnade, Berlin 1961

M. Müller, Die Verheißung des Herzens, Freiburg 1953

H. Roth, Pädagogische Anthropologie I, Hannover 71983

M. Theisen, Max Schelers Metapsychologie als Grundlage für einen integrativen anthropologischen Ansatz, Frankfurt a.M. 1994

A. Vetter, Personale Anthropologie. Aufriss der humanen Struktur, Freiburg-München 1966.

Lothar Penners

 

Schönstatt-Lexikon:
Herausgeber: Internationales Josef-Kentenich-Institut für Forschung und Lehre e.V. (IKF)
Verlag: Patris-Verlag, Vallendar-Schönstatt - All rights by Patris-Verlag -
www.patris-verlag.de
Online-Präsentation: Priester- und Bildungshaus Berg Moriah, Simmern, in Zusammenarbeit mit dem Josef-Kentenich-Institut e.V. (JKI)

Eingestellt von
O. B.
BM
Eingestellt am: 05.03.2008 19:51
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