Anzeigen

 

Haus Moriah Josef-Kentenich-Institut Kentenich-Texte KT Stichwortsuche

 Text
GdL-1949-10 Zeitenwende, nicht Zeitenende
Aus: Oktoberbrief 1949

Wir stehen in einer Zeitenwende von geschichtlichem Ausmaße. (...) Um die Zeitenwende inhaltlich verständlich zu machen, stellen wir sie verwandten Lebensvorgängen im Rahmen der Zeit gegenüber: der Zeitenkrise und dem Zeitenende.

Von Krisen spricht man in der Medizin und Psychologie, wenn größere, gefährlichere Spannungen Leib und Seele in Erschütterung bringen; in der Geschichte, wo im gewöhnlichen Lebensrhythmus der Völker größere Veränderungen einsetzen, wo die übliche traditionelle Ordnung bedenklich in Verwirrung gerät. Größere geschichtliche Ereignisse wie Revolution und Krieg werden aus Krisen geboren und haben solche zur Folge.

Kommt der geschichtliche Verlauf früher oder später wieder ins alte Geleise zurück, so bedeutet sie bloß einen größeren oder geringeren Ruck – aber keine Wende. Von einer solchen ist die Rede, wenn das Rad der Geschichte sich nicht mehr rückwärts drehen lässt, wenn eine Geschichtsetappe abgeschlossen ist und eine neue beginnt, so dass Seelsorge und Erziehung notwendig neue Wege einschlagen müssen. Weil die Geschichte ein originelles Ganzheitsgebilde ist, sind die Übergänge von einem Zeitalter zum andern nicht unvermittelt. Beide fließen vielfach längere Zeit ineinander über und bewirken deswegen Krisen. Das eine will den Platz nicht räumen und das andere ist noch nicht stark genug, um über Nacht als Sieger auf dem Platze zu bleiben. Auch für Studium und Deutung der Geschichte dauert es oft lange, bis Unterschiede und Gegensätze hüben und drüben sich klar genug herausgebildet haben und eine genauere Charakteristik der beiden Zeitalter möglich ist. Nicht von heute auf morgen laufen die Wasser zu einer reichlich sprudelnden Quelle zusammen. Ähnlich ist es, wo es sich um Entwicklungsstufen im Leben großer Menschen handelt. Deshalb auch die vielen, nicht selten erschütternden Krisen in ihrem Innern. Oft müssen sie einen langen Prozess durchmachen, bis sie in vollendeter Reife in die Öffentlichkeit treten, bis sie ein Leuchtturm für ihre Umgebung sein können, ein fruchtbarer Baum, an dessen köstlichen Früchten ungezählt viele sich ergötzen und erfrischen. (...)

Zeitenende ist gleichbedeutend mit Weltuntergang. Niemand hat Grund und Recht, dem Heute diese Marke aufzuprägen, auch dann nicht, wenn die biblischen Merkmale sich Stück um Stück zu verwirklichen scheinen. Gottes Weisheit will uns absichtlich in Ungewissheit lassen über die zweite Ankunft des Herrn. Niemand kennt den Tag noch die Stunde, wann er zum Gerichte kommt1.

Es ist ein bedenkliches Unterfangen, ohne Beruf unter die Propheten zu gehen. Das gilt schon, wo es sich um Ablösung zweier Zeitalter handelt. Wieviel Enttäuschungen und Täuschungen kann hier die Geschichte buchen, zumal wo es nicht um Änderungen der seelischen Struktur, sondern der Landkarte geht! (...)

Wo man sich dazu verstiegen hat, den Weltuntergang anzukündigen, war die Täuschung noch größer. Periodenweise geht ein Zug durch die Völker vornehmlich des Abendlandes, den man am besten mit Weltuntergangsstimmung bezeichnet. Wieder und wieder treten falsche Propheten auf, die ihn zu deuten und zu lenken versuchen. Sie haben bislang immer daneben gegriffen. Es wird künftig so bleiben. So erwarteten Augustinus und Hieronymus um das Jahr 400 das Ende. Sie haben sich geirrt. Als Sankt Stefanus in Ungarn die Grundlage für das tausendjährige Reich legte, erwarteten seine Zeitgenossen den Richter über Tote und Lebendige auf den Wolken des Himmels. Otto III. ließ sich nicht zurückhalten, zur Vorbereitung eine Wallfahrt zum Grabe des heiligen Adalbert zu machen. Auch der geistreiche und zeitenkundige Otto von Freising war von derselben Überzeugung durchdrungen. Die folgenden Jahrhunderte brachten die Korrektur. Statt des Weltunterganges erfolgte die glanzvolle Periode der Kirchengeschichte des 12. und 13. Jahrhunderts. So ließen sich die Beispiele vermehren...

Es ist überflüssig, darauf aufmerksam zu machen, dass wir in unserer These nur von Zeitenwende, nicht vom Zeitenende sprechen.

1 Vgl. Mt 25,13.

Aus:
Pater Josef Kentenich,
Oktoberbrief 1949,
Ein Beitrag zum christlichen Auftrag: Neuer Mensch
Schönstatt-Verlag, Hillscheider Str. 1, 56179 Vallendar
ISBN: 978-3-920849-01-0
S. 38 - 41

Zum Online-Angebot des Verlags

 

Eingestellt von
O B
KM
Eingestellt am: 08.12.2010 10:04
  Zurück zur Übersicht
 
 

Seite drucken Seite versendenImpressum