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Haus Moriah Josef-Kentenich-Institut Vautier - Freiheit und Gehorsam

Freiheits- und Gehorsamserziehung bei Pater Kentenich

- Paul Vautier –


Die Überschrift dieses Referates ist etwas voluminös geraten und es ist vielleicht ganz gut, zu Beginn die Absicht dessen, was hier zusammengetragen werden soll, kurz zu präzisieren und zu erklären.

An unserer letzten Tagung wurde die Frage gestellt nach dem konkreten Gehorsamsvollzug, was also alles dazu gehört, um nach der Ansicht P. Kentenichs wirklich "gehorsam" zu heißen. In der Tat haben wir uns bisher mehr die Fragen der Gehorsamsbegründung gestellt und sind den Zusammenhängen nachgegangen, in die man den Gehorsam stellen muss, um ihn richtig zu sehen und zu werten. So ist es sicher nützlich, uns auch einmal mit den konkreten Formen des Gehorsams zu beschäftigen und besonders auch mit den freiwilligen Hochformen des Gehorsams, die P. Kentenich als der Erzieher und als der Gründer einer Bewegung, die nach der Heiligkeit strebt und sich daran misst, angezielt hat.

Der Hauptakzent des Referates wird also um diese Frage kreisen. Es soll aber auch die Erziehung zur Freiheit berühren und sie in die Beziehung setzen mit unserer Beschäftigung mit dem Gehorsam. Es ist jedoch nicht möglich, beides ausführlich zu behandeln, besonders wenn es unser Hauptanliegen bleiben soll, die konkrete Ausformung des hochgradigen Gehorsams in den Blick zu bekommen. So will ich mich darauf beschränken, in einem Vorspann das Verhältnis von Freiheits- und Gehorsamserziehung bei P, Kentenich zu betrachten und die wichtigsten Grundlinien seiner Freiheitspädagogik anzudeuten.


I. Das Verhältnis von
 Freiheits- und Gehorsamserziehung bei P. Kentenich und die Grundlinien der Erziehung unter diesem Gesichtspunkt

Seit dem Beginn der Neuzeit ist das Thema der Freiheit in der Skala des Verhandelten weit nach vorne gerückt und beginnt ein Grundzug des menschlichen Empfindens zu werden. So fehlt es heute auch nicht an Theologen, die die Theologie grundsätzlich auf dem Hintergrunde der modernen Freiheitsgeschichte schreiben wollen als die Emanzipation, die eschatologische Emanzipation von entfremdenden Herrschaftsstrukturen überhaupt. Und so tritt auch der heutige Mensch - und wir alle sind solche heutigen Menschen - an die Pädagogik Schönstatts heran mit der Frage: Wie steht es hier mit der Freiheit des Menschen? Wird der Mensch hier aus der entfremdenden Struktur befreit, wird die Fessel des alten religiösen Gehorsams gesprengt? Ob wir wollen oder nicht - wir werden diese Fragen hören oder selber stellen.

Auf diesem Hintergrunde sind die emphatischen Äußerungen unseres Gründers über die Bedeutung der Freiheitserziehung in Schönstatt gerne gehört.[1] Auf die Dauer kann uns aber die Tatsache nicht verborgen bleiben, dass es ebenso emphatische Äußerungen gibt, die die Schönstattgeschichte unter dem Lichte des Gehorsams sehen, die hervorheben, dass P. Kentenich im Gehorsam eine seiner "zentralsten Lebensaufgaben" gesehen hat.

Wie sind diese beiden Extreme zu vermitteln? Die Lösung liegt nicht in der Hierarchisierung der beiden Anliegen. Wohl kann es zur besonderen Betonung des einen oder anderen Akzentes kommen, je nach der pädagogischen Situation, die sich nach Zeit, Umständen und Reifungssituation richtet. Aber viel hilft uns das auf die Dauer nicht, wenn wir nicht erkennen, dass der Grundansatz P. Kentenichs das Weltgrundgesetz der Liebe ist, und man von daher Freiheit und Gehorsam als eine von der Liebe bedingte und eine von der Liebe beseelte Spannungseinheit sehen muss.

Für uns ergibt sich daraus besonders eine doppelte weiterführende Erkenntnis. Sie erklärt uns das Faktum, wieso in den prinzipienhaften Definitionen von Freiheit wie von Gehorsam immer beide Elemente zugleich vorkommen. So, wenn es in der Werktagsheiligkeit heißt: "Der Untergebene beugt sich zutiefst in königlicher Freiheit Gott, der hinter der geordneten Autorität steht."[2]

Umgekehrt geht es in der Läuterung des Freiheitsbegriffes immer um das Verständnis des Freiheitsbegriffes als Freiheit von allem Widergöttlichen, um frei zu sein für alles Göttliche, letztlich also um die Liebesbindung an Gott und seine Geschöpfe. Freiheit und Gehorsam sind eben zwei Elemente, die polar aufeinander bezogen und nur von daher zu verstehen sind.

Die zweite Erkenntnis, die sich daraus ergibt: Erst in der Vollendung, erst in der visio beata, kann diese Spannungseinheit zur Ordnungseinheit werden. Deshalb ist es ganz natürlich, dass sich Autorität und Freiheit in der Geschichte, in den Gemeinschaften und im einzelnen Menschen selbst als Ursprung vieler Auseinandersetzungen erweisen, die manchmal auch das Gesicht von sehr leidvollen und unversöhnlichen Kämpfen tragen.

Jede Erziehung nun hat nicht die Aufgabe, diese Spannung zu unterdrücken oder auszumerzen oder gar sie in einem Ordnungssystem vorzeitig zu stabilisieren. Vielmehr ist es ihre Aufgabe, beide Pole voll zu entwickeln, damit sie in Spannung treten und geschichtlich für Individuum und Gemeinschaft fruchtbar werden können.

Lassen wir nun in aller gebotenen Kürze die Erziehungsgrundsätze P. Kentenichs vor unserm geistigen Auge vorbeiziehen, um sie unter den vorgängigen Gesichtspunkten zu mustern.

Der Imperativ der Selbsterziehung, die sich ausrichten soll nach der Idealpädagogik, besonders im Persönlichen Ideal, will die eigenständige und selbsttätige Entfaltung des einzelnen fördern, der dadurch seine Freiheit erobert und sich in Freiheit binden kann in allen gottgewollten Bindungen. Dazu wird ihm vom Erzieher her in der Anwendung der Vertrauenspädagogik voller Raum gegeben, und wenn es sich um Gemeinschaften handelt, wird durch die Bewegungsfreiheit und Bewegungspädagogik an die freie Initiative appelliert. Zugleich aber sind diese Leitsterne der Erziehung ohne die innere und immer stärker werdende Bindung an Gott, an seine Transparente und an seine Wünsche undenkbar und so zugleich Ausdruck der Gehorsamsbindung.

Einen weiteren Blick aus unserer Fragestellung heraus müssen wir auf die organisatorischen Prinzipien unseres Gründers richten, insofern sie erzieherische Implikationen in sich bergen. Im Prinzip: "Autoritär im Prinzip, demokratisch in der Anwendung" wird sowohl dem einzelnen Raum für seine freiheitliche Entfaltung und Spontaneität gegeben, wie auch eine innere Gehorsamsbindung angestrebt. Das durchgängige Strukturprinzip: "Freiheit so viel als möglich, Bindung soweit als notwendig, Geistpflege im Übermaß" versucht der Spannung von Freiheit und Gehorsam gerecht zu werden und besonders durch das Element der reichen Geistpflege das Maß der pflichtmäßigen Bindungen zu mindern und die freiheitliche Übernahme der Verantwortung zu fördern. In anderer Form ist das im oft wiederholten Imperativ: weg vom Formalismus und hin zur Geistbeseelung! enthalten. Der föderative Charakter endlich und die durchgängige Teilung in Pflichtgemeinschaft und freie Gemeinschaft sichert im Gemeinschaftsaufbau ein spannungsvolles Spiel der multiplizierten moralischen Autoritäten und ihrer Initiativen wie auch die Möglichkeit einer rechtlich, nicht zu kontrollierenden Bewegung von unten nach oben.

Vieles könnte man nun im einzelnen zu diesen Punkten sagen. Im Rahmen unserer Tagung wollen wir uns aber auf die Ausformung des Gehorsams konzentrieren. Wir tun das im Bewusstsein, dass im Sinne der Spannungseinheit von Freiheit und Gehorsam einmal in den Hochformen des Gehorsams selbst immer eine Freiheitstat impliziert ist und wir zum anderen der Spannung von Freiheit dann nur ihre Fruchtbarkeit sichern, wenn wir beide, Freiheit und Gehorsam, in der Höchstform ausprägen.


II. Möglichkeiten und Hochformen des Gehorsams
in hochherziger Selbst- und Fremderziehung

Es versteht sich von selbst, dass diese Überlegungen ausgehen von dem Rahmen der Schönstätter Säkularinstitute. An ihnen lässt sich ja die Intention des Gründers in Bezug auf die Gehorsamserziehung am deutlichsten ablesen. Sie muss dann aber auch überall dort, wo dieser Rahmen nicht gegeben ist, sinngemäß übertragen werden, eine nicht immer leichte Aufgabe.

Die Pflege der Grundlagen: Vorsehungsglaube und Liebesbündnis

Wie überall in der Erziehung, so bewährt sich auch in der Gehorsamserziehung der Grundsatz, dass wesentliches indirekt erreicht werden muss. Besonderes Augenmerk muss man auf das Vorfeld und die Grundgegebenheiten richten.

So ist es nicht zu verwundern, wenn P. Kentenich im Zusammenhang mit der Gehorsamsfrage immer längere Ausführungen über den Vorsehungsglauben macht, der für ihn die Grundlage der religiösen, katholischen Glaubens schlechthin ist, und auf die Pflege des  Liebesbündnisses hinweist, das alle anderen Bindungen, die vom Menschen Liebe, Treue und Opferkraft fordern, innerlich trägt, beseelt und antreibt.

Die Pflege des Vorsehungsglaubens soll dabei den einzelnen befähigen, Gottes Willen selbständig zu erkennen, wie er sich in Sein, Seele und Zeit enthüllt, und sich in ganzer Hingabe diesem Willen und Wunsch Gottes zu stellen und sich so an Gott zu binden. Dabei mögen Autoritätsträger zunächst gar nicht im Vordergrunde stehen. Wenn es aber gelingt, alle Dinge und Geschehnisse auf den Wunsch Gottes hin transparent zu sehen, wird das auch bei rechtmäßiger oder frei anerkannter Autorität leicht geschehen können, und das so, dass die innere Freiheit und Selbständigkeit nicht angegriffen wird.

Im Liebesbündnis wird die
 innere Bindung an Gott und die Gottesmutter gepflegt und so der innere Hintergrund zu dem geschaffen, was die Werktagsheiligkeit so nennt: sich letztlich Gott beugen. Ich kann mich nicht im Gehorsam einem Menschen gegenüber letztlich Gott beugen, wenn ich mich nicht auch sonst im freien Raum wirklich an Gott und an die Personen der Übernatur binde. Dies geschieht aber im Liebesbündnis. So trägt seine Pflege auch den Gehorsam, und im Falle der Säkularinstitute mit ihrer minimalen Bindung ist das Ganze sowieso nur gesichert, wenn sich Rechts- und Liebesbündnis zu innerer Einheit verbinden.

2. Personalisierung des Gehorsams

Auf diese Dimension, auf dieses weite Feld der Gehorsamserziehung möchte ich den größten Wert legen, und wir wollen das Gemeinte von einigen Gesichtspunkten her durchdenken. Zunächst aber sei nochmals die Grundlage dazu ins Gedächtnis gerufen.

Wir haben schon zu Beginn hervorgehoben, dass Freiheit und Gehorsam eine Spannung bilden, die verständlich wird aus dem Grundansatzpunkt der Liebe heraus. Wir können das
in der Denkweise P. Kentenichs auch so ausdrücken.

Es geht um das Hineinwachsen in den Bindungsorganismus; der Mensch soll in freier Liebesbindung hineingebunden sein in einen Organismus von natürlichen und übernatürlichen Personen, Ideen, Orten. Das Verhältnis der Bindungen zu Gott und den übrigen Personen müssen wir verstehen vom Gesetz der organischen Übertragung und Weiterleitung. Daraus müssen wir - und das ist jetzt von besonderer Wichtigkeit - ableiten, dass ich ständig an die Menschen gebunden bleiben soll, auch dann, wenn sie mir schon zu einem tiefen Verhältnis zu Gott geholfen haben. Es wäre eine sehr mechanische Auffassung vom Gesetz der Übertragung und Weiterleitung, wenn ich die Verbundenheit mit Eltern, Geschwistern und Obern eines Tages quittieren würde, weil ich der Ansicht wäre, jetzt sei es genug der Weiterleitung, jetzt sei ich bei Gott.

Wir müssen sehen, dass das eigentlich genau die Gefahr des heutigen Menschen ist und dass sich das in der Praxis des Gehorsams vielfältig auswirkt. Diese offen oder subkutan mechanische Haltung zeigt sich im Gewande
moderner Sachlichkeit. Überall da, wo die Erfüllung des Gehorsams in der sachlichen Effizienz gesehen wird, dass man ja tut und vielleicht gut tut, was der Obere will und gar noch ein bisschen mehr, aber ohne ein ständiges Streben nach persönlicher Verbundenheit mit dem Obern und einer ständig vertieften kindlichen Offenheit, ist nach der Konzeption P. Kentenichs noch lange kein vollkommener Gehorsam vorhanden. Damit soll noch nichts gegen die Sachlichkeit an sich gesagt sein, die eine moderne Tugend ist und vor Dilettantismus schützen will. Aber oft dient sie als Tarnungsmittel für eine, wenn auch oft nur mehr sublime Bindungsflucht.

Versuchen wir also das auf die Praxis hin durchzudenken!

Für die Erziehung heißt das dann etwa: ich muss in allem, was ich tue aus Gehorsam, die personale Komponente betonen, also nicht, nur aus Einsicht in die Notwendigkeit oder Vernünftigkeit, sondern weil es der Obere, dieser mein Obere so will. Und dies gilt nicht nur für formelle, ad personam ausgesprochene Befehle, sondern auch von meiner Folgsamkeit den Satzungen und Gebräuchen gegenüber. Der hochherzige Gehorsam strebt auch danach, diejenigen Dinge, die man aus Gehorsam tut, ohne dass sie einem irgendwelche Schwierigkeiten bereiteten, durch das Hervorkehren der personalen Komponente zu einer persongebundenen Liebes- und Gehorsamstat zu machen. Möglichkeit zur Pflege dieses Punktes ist in der persönlichen Geistpflege gegeben, etwa auch durch entsprechendes Partikularexamen, entsprechende Ausformung, der Rechenschaft in der Beichte und beim Obern; vielleicht auch darin, dass man dadurch einem Obern ein besonderes geistliches Geschenk machen will.

Um von einem anderen Gesichtspunkt die Personalisierung des Gehorsams durchzudenken, führen wir uns eine zunächst eigenartig anmutende Äußerung unseres Gründers vor: Epikie sei die vollkommenste Form des Gehorsams. Wi
e kann gerade das Nicht-für-anwendbar-Erklären eines Gebotes des Obern in dem und dem konkreten Fall vollkommener Gehorsam sein? Wird da nicht wieder extrem sachliche Ethik vertreten? Die Aussage P. Kentenichs ist von daher zu verstehen, dass die Epikie, wenn ich sie wirklich verantwortlich und richtig anwenden will, eine hochgradige Vertrautheit mit dem Obern und seinen Intentionen voraussetzt, eben also die von uns hier angezielte personale Komponente im Vollmaß verwirklicht. Als Imperativ für Selbst- und Fremderziehung folgt: Der Kontakt mit dem Obern sollte idealerweise immer über das vorgeschriebene Mindestmaß hinausgehen. Nur wenn ich den Obern vielmals um Rat gefragt habe und auch in Dingen um Rat gefragt habe, in denen es vielleicht nicht nötig war, erst wenn ich tiefe und ernsthafte Bemühungen um das Verständnis des Gründers hinter mir habe, bin ich wirklich zu einer richtigen und an der Intention des Obern bzw. Gründers orientierten Epikie befähigt.

Diese Dimension zeigt sich auch in einem Rat, den P. Kentenich ab und zu explizite gibt: Besonders wertvoll kann es im Sinne dauernder Gehorsamserziehung sein, innerseelisch und geistig mit ihnen (d.h. den Obern) ständig in Beziehung zu bleiben und sich in Zweifelsfällen zu fragen: was würden sie in solcher Lage entscheiden, oder wie würden sie sich selber geben? Dass das natürlich auch sehr viel vom Obern verlangt, versteht sich von selbst.

Die Pflege der Beziehung des Obern zum Untergebenen hat verschiedene Dimensionen. In den Gesprächen zur Vorbereitung dieses Referates wurde mir erzählt, P. Kentenich hätte zwei entgegengesetzte Methoden gehabt, um die Bindung zu vertiefen, je nach Person natürlich: Er konnte die einen durch riesiges Vertrauen und Übergabe von großen Arbeitsgebieten an sich binden, er konnte aber auch zeitweise in der Kontrolle des Geleisteten fast penibel genau sein. Beide Grundzüge können das Verhältnis vom Obern zum Untergebenen zeitweise prägen oder sollten es prägen, aus beiden stellen sich uns kritische erzieherische Fragen: Kann ich als Oberer Vertrauen schenken? Kann ich aber auch den
Mut haben, meine Autorität auszuüben? Und entsprechend für den Untergebenen: Halte ich dem Anspruch des Obern stand oder weiche ich aus? Alles aber muss der Verstärkung der personalen Komponente des Gehorsams dienen.

Ein letzter Aspekt dieser Personalisierung: das Wechselspiel der Prägung, die von der Person des Obern ausgeht, und der Initiative von unten. P. Kentenich war stolz, wenn er feststellen konnte, dass eine Oberin ihre Filiale im guten Sinne prägt, dass von ihr Leben und Formung ausgeht. Das bedingt aber auch, dass die Untergebenen auf den Obern eingehen, und dies nicht nur in formellen Befehlen, sondern auch in Dingen, die nicht unter Befehlskompetenz fallen. Dieses beschriebene Verhältnis setzt also vom Obern voraus, dass er mehr sein will als ein Verwaltungsbeamter, als ein guter Papa bzw. gute Mama, unter deren Regie alles klappt. Es muss von ihm Leben und pädagogischer Eros ausgehen. Und von den Untergebenen fordert das eine positive Voreingestelltheit und Willigkeit, die von der vorsehungsgläubigen Sicht der Person des Obern ausgeht.

Selbstverständlich muss hier auch die andere Seite gesehen werden: das Problem der inneren Freiheit. Sie kann bedroht sein in diesem Wechselspiel, sei es vom Obern her, der alles bestimmen will, sei es wegen der Empfindlichkeit des Individuums. Zur Wahrung und Pflege der inneren Freiheit gehört die bewusste Betätigung der Initiative von unten, wie auch, sofern es möglich ist, übernatürliche Mittel (etwa die Vertiefung des Berufungs- und Sendungsbewusstseins in Betrachtung und Gebet). Aber auch der Obere muss in geeigneter Weise auf die innere Freiheit achten. In den Fällen, wo die Schwierigkeit mehr auf der Seite des Untergebenen liegt, ist es wichtig, dass der Untergebene angeregt wird, in der Anwesenheit des Obern seine Critica zu sagen, und dann die Erfahrung machen
darf, dass der Obere nicht wie erwartet über ihn herfällt oder ihn übergeht.

3. Erzieherisches zu den direkten und formellen Gehorsamsverhältnissen

Man könnte sich hier länger ausbreiten, aber ich möchte versuchen, mich in diesem Punkte kurz zu fassen. P. Kentenich vergleicht für das Gebiet des Gehorsams den Mann im Gegensatz
zur fraulichen Natur mit einem Wildpferd, das einen weiten Raum der Selbstentfaltung braucht, aber ebenso einige klare und feste Grenzpfähle. Es geht also nicht so sehr darum, viele Bräuche zu haben, an die man sich ständig im Gehorsam anlehnen kann. Vielmehr sollte es für Männer immer einige harte Punkte geben, an denen ihnen die Gehorsamsforderung klar wird, an denen sie wohl auch etwas zu beißen haben. Erzieherisch heißt das mit einem Wort Kardinal Ottavianis formuliert: Gehorsam ist das Brot der Starken. Habe ich als Oberer den Mut zu regieren? Eine

Frage, die P. Kentenich immer wieder stellt. - Für den Untergebenen: Habe ich Mut und Kraft mich zu beugen, mich freimütig zu melden?
Wenn der Obere beharrt, mich zu beugen, zu schweigen, und das ohne zu verbittern? Ist das Gehorsamsverhältnis von Schwäche gezeichnet, dann gibt es drei Formen: 1. man kuscht oder kriecht; 2. man kritisiert hintenherum; 3. man baut ein Verhältnis von etwas burschikoser Kollegialität auf, in der weder richtig befohlen noch gefolgt wird, weder ehrfürchtige Distanz noch eigentliche persönliche Verbundenheit herrscht. Hier kann viel getan werden in Selbst- und Fremderziehung, um diese Zerrformen zu vermeiden.

4. Schuldbewusstsein und Sühne

Es ist bekannt, welchen Wert P. Kentenich darauf legte, dass das Schuld- und Schicklichkeitsempfinden nicht verroht und Schuldgefühle nicht unterdrückt werden. Dabei ging es ihm nicht darum, den Menschen zu knechten, sondern im Gegenteil das
Wertempfinden des Menschen zu achten und den Ernst der Liebe und der Entscheidung für Gott und einen Menschen gelten zu lassen. Sehen wir feinentwickeltes Schuldempfinden und Sühnebedürfnis in diesen Zusammenhängen, dann fällt es nicht schwer, sie als Maßstab zu sehen für den Ernst und die Tiefe unseres Gehorsams. Dies erhellt besonders auch aus dem, was wir über die Personalisierung des Gehorsams gesagt haben. Feines Empfinden fasst den Ungehorsam als Entzug von Liebe der Person gegenüber, der man den Gehorsam entgegenbringt, bzw. entgegenbringen sollte, und antwortet darauf mit dem Bedürfnis, diesen Entzug durch erhöhte Liebe wettzumachen. Hier steht also wieder die Person, der Bindungsorganismus im Vordergrund. Die Konkretisation dieses Punktes wird sich z.B. zeigen in der Form und im Zeitpunkt der Entschuldigung und in der Art, wie ich Rechenschaft ablege. Freiheit sich selbst gegenüber und tiefes Ernstnehmen des Gehorsams zeigt sich auch dann, wenn ich für ein dem Obern verborgen gebliebenes Verschulden, über das ich vielleicht auch nicht pflichtmäßig Rechenschaft geben muss, eine Buße erbitte.

5. Beichte und freiwillige Gehorsamsbindung

Abschließend möchte ich noch auf die Bedeutung der Beichte für den Gehorsam hinweisen. Sie kann eine doppelte Funktion haben: eine hinführende und eine ergänzende. In der Beichte bei einem erfahrenen und von mir anerkannten Seelenführer kann ich vielleicht leichter
als zunächst im Verhältnis meinem Obern gegenüber die positive Erfahrung der Fruchtbarkeit des Gehorsams machen. Dies gilt besonders für schwierige Fälle; es ist bekannt, welche Bedeutung P. Kentenich dem absoluten Gehorsam dem Seelenführer gegenüber beimisst, wenn es um kranke Seelen geht. Aber auch sonst kann mir eine Pflege der Beichte viel helfen, für mein Gehorsamsleben überhaupt. Die Beichte kann aber, und das besonders auch für die Externen eines Säkularinstitutes, ebenfalls eine ergänzende Funktion haben, indem ich hier ein ständiges und ins Leben einschneidendes Gehorsamsverhältnis pflege, zu dem ich dem Obern gegenüber vielleicht schon wegen der großen Entfernung oder anderer äußerer Kontaktschwierigkeiten weniger gut kommen kann. Auch wenn ich als Priester ein großes Berufsfeld habe, das niemand der Kontrolle direkt untersteht, kann es gut sein, dass ich einen inneren Bereich habe, wo ich mich abhängig weiß und fühle. Es kann auch sein, dass ich mich in der Beichte, eventuell aber auch sonstwie, in einem bestimmten Punkt in ein formelles Gehorsamsverhältnis freiwilligerweise begebe, einen Punkt also aus der Beliebigkeit heraushebe und mich in diesem von einem anderen abhängig mache. Es mag dies geschehen aus inneren Schwierigkeiten, aus dem Anliegen der hochgradigen Pflege des Gehorsams, es mag dies auch geschehen als Oberer, wenn ich zu wenig Gelegenheit mehr habe zu gehorchen und mich lebensmäßig mit meiner Gefolgschaft gleichschalten will und aus anderen Gründen mehr. Welche innere Kraft und Freiheit das braucht, wird jedem klar, der einmal im Ernst versucht, in eine solche freiwillige Gehorsamsbindung einzutreten. Dieses Vorgehen kann auch Gefahren mit sich bringen; im Durchschnitt würde ich aber heute viel eher die Gefahr sehen, dass wir aus Entscheidungsmüdigkeit und Bindungsflucht uns vor einer solchen Ausprägung des hochgradigen Gehorsams sträuben. Eine in Schönstatt häufig geübte Form dieser freiwilligen Bindung ist die Wahl eines Selektionspunktes, über den man regelmäßigerweise einer Person Rechenschaft ablegt.

Wir haben nun gemeinsam einen Blick tun dürfen in die Welt des Gehorsams. Aus der Grundintuition des Weltgrundgesetzes der Liebe, des Bindungsorganismus hat sich uns vieles dargeboten als Entfaltung dieser Intuition, vielleicht nur beim näheren Zusehen für uns als solche erkennbar. Immer müssen wir ringen um beides: um die klare Sicht der Wurzel - und um die volle Entfaltung des Grundlegenden in den, wie P. Kentenich sagt, "Verästelungen". So möchte ich schließen mit einem Wort aus der Pädagogischen Tagung 1950: "Viele Worte, auch Gebetsworte von ungeheurem Gewicht, sind im Laufe der Jahrtausende gesprochen worden. Das gewichtigste Wort aber, das aus reinem Menschenmund gesprochen wurde, ist das schlichte Wort der schlichten Magd von Nazareth. Hier leuchtet uns nicht bloß ein moralisches Gehorchen, eine moralische Folgsamkeit entgegen. Nein, nein! Die gesamte Metaphysik der Schöpfung und des Menschen strahlt uns auf: 'Ecce ancilla Domini!'."[3]



[1]vgl. die Hinweise auf die Vorgründungsurkunde; so J, Kentenich, Schlüssel zum Verständnis Schönstatts, 51

 

[2]M. A . Nailis, Werktagsheiligkeit, Limburg 1964, 199

 

[3]Kentenich, Grundriss einer neuzeitlichen Pädagogik für den katholischen Erzieher, Vallendar-Schönstatt 1971, 253

 

 
 

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