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Haus Moriah Josef-Kentenich-Institut Egle - Gehorsamsmodell

Das Gehorsamsmodell in den schönstättischen Gemeinschaften

- Georg Egle –



Die Frage von Freiheit und Gehorsam steht am Anfang der Geschichte Schönstatts, als Pater Kentenich im Oktober 1912 die Stelle des Spirituals im Studienheim antritt. Das Verhältnis von Freiheit und Bindung ist und bleibt eine Zentralfrage der schönstättischen Spiritualität und Lebensform. Freiheit und Gehorsam prägen alle schönstättischen Gemeinschaften, vor allem die Verbände:

"Erstens ... bei den Verbänden ist das einzige juridische Band der Gehorsam, sonst nichts. Sie wissen, wie die Keuschheit, wie die Armut bei den Verbänden verpflichtet kraft des Gehorsams. Und dieses einzige Band ist nur ein Versprechen, ist kein Gelübde"... Wenn nun dieses Band nicht sicher ist, bricht alles zusammen ... Es hängt alles vom Gehorsam ab.

Der zweite wissenschaftliche Grund, den ich nur anrühren möchte: Wenn wir dieses ... große Ziel haben..., dann hängt alles davon ab, dass der Wille des einzelnen dem großen Gemeinschaftsziele eingeordnet wird, und das geschieht durch den Gehorsam. Wenn der Jesuit . . . nicht etwas Großes leisten kann ohne Gehorsam, dann wir noch viel weniger ... wir haben nur ein einziges Band, ein leichtes, das ist das Versprechen des Gehorsams. Wollen wir als Gemeinschaft etwas Großes leisten, noch mehr als die Jesuiten, dann müssen wir den Gehorsam, den familienhaften Gehorsam als unser Standesbewusstsein auffassen.

Ich möchte fast wünschen, dass ein jeder von uns mal eine Zeitlang Rektor oder Provinzial würde. Wissen Sie, weshalb?

um die ganze Bedeutung der Gehorsamserziehung besser zu verstehen;
um zu verstehen die Hilflosigkeit eines Vorgesetzten, wenn die Untergebenen diese Standestugend nicht in hervorragender Weise pflegen;
um besser zu verstehen, dass die Unfruchtbarkeit unserer Gemeinschaft meistens durch zwei Punkte bestimmt ist;

durch Mangel an Gefolgschaftsgeist,
durch Mangel an Führungskunst.

Sehen Sie, es liegt im Manne, sich zu beugen, sich auch in Gehorsam zu beugen. Wenn man weiß, man wird einem hohen Ziele zugeführt, dann beugt man sich gerne."[1]

Schönstättischer Gehorsam ist zielgerichtet, auf höchste Ziele ausgerichtet. Daher ist unter dem ersten Teil zu sprechen vom Ziel des Gehorsams.

I .
Ziel des Gehorsams

Ziel des Gehorsams ist der freie, heilige, gottgebundene Mensch, der in, mit und für die Gemeinschaft apostolisch fruchtbar wird für die Kirche und durch die Kirche für die Welt.

1.
Freiheit

Seit der französischen Revolution mit ihrem Schlachtrufs Liberté, Egalité, Fraternité, ist der Drang nach mehr Freiheit nicht mehr verstummt. Die vermeintlich größere Freiheit ist meist durch die Zertrümmerung des Alten errungen worden. Das gilt für den politisch-gesellschaftlichen Bereich wie für den pädagogisch-psychologischen oder moralisch-ethischen Bereich. Dennoch fühlt sich der Mensch unserer Tage in Strukturen verstrickt, an Formen versklavt, Zwängen verhaftet, kurzum unfrei.

Außer Schönstatt dürfte es in unserem Jahrhundert kein ebenbürtiges Erziehungssystem der Freiheit geben.

Pater Josef Kentenich, selber in seiner Kindheit und Jugend am alten Autoritäts- und Gehorsamssystem fast zerbrochen, stellt an den Anfang seiner Tätigkeit die Erziehung zur Freiheit: "Wir wollen lernen, uns unter dem Schutze Mariens selbst zu erziehen zu festen, freien, priesterlichen Charakteren", so lautet das Programm[2]  des Pater Spiritual, als er im Studienheim zum ersten Mal vor den Jungen spricht.

"Es war im Oktober 1912 ... Herbststürme durchbrausten nicht nur die Natur, sondern auch die Studienanstalt. Eine öffentliche Gehorsamskrise, eine Revolution war unser ostium apartum magnum et evidens, durch das vor allem der neue geistbeseelte und idealgebundene Mensch vornehmlich unter dem Titel wahrer Freiheit Einlass begehrte ... Das beweist schon der Wortlaut des Programms ... Es gleicht einem Saatkorn, in dem die vollendete Blume keimhaft angelegt ist. 'Wir wollen lernen, uns unter dem Schutze Mariens selbst zu erziehen zu freien, starken priesterlichen Charakteren.' Die Idee von der wahren Freiheit hat uns nie mehr losgelassen. Sie wurde zur Kernfrage unserer Geistigkeit. Es ist nicht zufällig, wenn etwa 30 Jahre später ein im Gefängnis in Koblenz entstandenes Lied spontan singt:

So steh'n wir heut geschlossen, aus Gottes Lieb gegossen und kämpfen unverdrossen mit allen Satanssprossen, dass neue Menschen werden, die frei und stark auf Erden in Freuden und Beschwerden, wie Christus sich gebärden...

Erziehung zur wahren Freiheit und Kraft blieb das große Anliegen Schönstatts. Schon 1912 kämpfte es gegen den Massenmenschen an ... Im Konzentrationslager zu Dachau fanden die großen Erziehungsideale der Familie einen Niederschlag im Heimatlied. Eine Strophe singt die Idee der liebebeseelten Freiheit:

Kennst du das Land, dem Himmel gleich, das heiß ersehnte Freiheitsreich? Wo Großmut, Schicklichkeitsempfinden den Zug nach unten überwinden;wo Gottes leise Wünsche bindenund freudige Entscheidung finden; wo nach der Liebe Grundgesetzen
sie allseits siegreich durch sich setzen?
Dies Wunderland ist mir bekannt ….

In der Verfolgungszeit wurden viele Sklavenketten in Lagern und Gefängnissen freiwillig und freudig getragen, um der Familie die wahre Freiheit zu erflehen. Wie oft ist danach der Vorsatz erneuert worden:

Gern trag ich ewig düstere Sklavenketten,
um die Familienfreiheit zu erretten ...

Als Früchte der ungezählten vielen Opfer aller Art - darunter waren auch ernste Lebensangebote - wuchs die Hoffnung, dass Gott in seiner Güte der Gemeinschaft insgesamt für alle Zeiten das hohe Gut der Freiheit den Kindern Gottes schenken wolle ... Dabei lassen wir nicht zuletzt die gelübdelosen Gliederungen im Auge ... Wahre Freiheit ist ein Kernstück unserer Geistigkeit. Deshalb hat sie uns alle Jahre hindurch beschäftigt. Sie wird es auch in Zukunft tun... Nicht umsonst hat das Gesetz der geöffneten Tür uns gleich am Anfang nachdrücklich im Zusammenhang mit dem Gehorsam darauf aufmerksam gemacht, liebebeseelter. Gehorsam macht frei. Gerade die gelübdelosen Schönstattgemeinschaften können den Gehorsam in allen Stufen Ausdruck der Freiheit und als Mittel dazu nicht hoch genug einschätzen und nicht oft und ernst genug betonen ... und wollten wir je den Wink vergessen, so lässt uns Gott keine Ruhe ... Der Bolschewismus mit seinen Vermassungsgefahren ist ein ständiger wirksamer Richter und Mahner ..."[3]

Aus dem Konzentrationslager Dachau schreibt Pater Kentenich: "Mein Freisein und Gebundensein ist Lösepreis und Kaufpreis für Beheimatung und Freisein der ganzen Familie. Ringen Sie um die wahre Freiheit in Gott. Achten Sie darauf, dass wir insoweit frei werden vor Gott, als wir frei sind von uns selbst, von unserem Wünschen und Wollen."[4]

Gehorsam wird so zum Ausdruck, zum Mittel und zur Sicherung des Freiseins von Eigensinn, vom eigenen Wünschen und vom eigenen Wollen und des Freiseins für Gottes Wunsch und Willen. Der für Gott absolut freie Mensch ist der Heilige.

2.
Heiligkeit

Pater Spiritual hatte die Jungen des Studienheimes langsam auf dieses hohe Ziel vorbereitet.[5] In der 1. Gründungsurkunde wird dieses Ziel deutlich und unüberhörbar markiert: "Meine Forderung geht ungleich höher. Jeder von uns muss den denkbar höchsten Grad standesgemäßer Vollkommenheit und Heiligkeit erreichen. Nicht schlechthin das Große und Größere, sondern geradezu das Größte soll Gegenstand unseres gesteigerten Strebens sein."[6] Es heißt weiter: "Wie für unseren zweiten Patron, den hl. Aloysius, eine Muttergotteskapelle in Florenz, so soll für uns diese Kongregationskapelle, die Wiege der Heiligkeit werden. Und diese Heiligkeit wird unserer himmlischen Mutter sanfte Gewalt antun und sie zu uns herniederziehen."[7] Der 1. Weltkrieg, der inzwischen ausgebrochen war, sollte kein Hindernis, sondern im Gegenteil eine Hilfe zur Heiligkeit sein. "Nach dem Plane der göttlichen Vorsehung soll der große europäische Krieg für euch ein außerordentlich förderndes Hilfsmittel sein für das Werk eurer Selbstheiligung. Diese Heiligung verlange ich von euch. Sie ist der Panzer, den ihr anlegen, das Schwert, mit dem ihr euer Vaterland von seinen übermächtigen Feinden befreien und an die Spitze der alten Welt stellen sollt."[8]

Das Programm der 1. Gründungsurkunden "Beschleunigung der Entwicklung unserer Selbstheiligung ..."[9], blieb auch das Programm, als der 1. Weltkrieg zu Ende war. In einem Brief Pater Kentenichs an die damalige junge Führerschicht heißt es: "Feierliche Schilderhebung des inneren Lebens."[10]

In den folgenden Jahren zeichnet Pater Kentenich das Bild des neuen Heiligen. Es ist der Werktagsheilige, der in allen Situationen des Alltags Gott begegnet.[11] Es ist der Heilige, der im Bündnis mit der Gottesmutter und mit dem Dreifaltigen Gott sein Leben gestaltet. Es ist der Heilige, der sich als Werkzeug in der Hand Gottes versteht.[12]

Schönstatt versteht sich als universeller Lebensaufbruch. Dieser Lebensaufbruch ist kein Werk der Menschen, mag die Pädagogik Schönstatts noch so bestechend, das Erziehungssystem noch so abgerundet, die Organisationsform noch so klug sein. Es ist Glaube des Gründers und aller, die sich zum Schönstattwerk zählen, dass am 18. Oktober 1914 sich die Gottesmutter in Schönstatt niedergelassen hat und seitdem die Menschen in ihrem Gnadenheiligtum innerlich wandelt. Hier liegt das Geheimnis des Lebensaufbruchs Schönstatts. Hier liegt die Quelle der Heiligkeit. Hierin liegt aber auch der wesensmäßige Unterschied zum Bild des Heiligen und zum Verständnis der Heiligkeit anderer Gemeinschaften und Bewegungen innerhalb der Kirche.

Das Wesen schönstättischer Heiligkeit besteht darin, sich von der Gottesmutter, die im Heiligtum ihren Gnadenthron aufgeschlagen hat, formen und erziehen zu lassen. Das zeigt sich in der Heiligkeit Pater Kentenichs, der von sich sagen konnte: Alles, was ich bin, verdanke ich der lieben Gottesmutter.[13] Das zeigt sich aber auch bei allen anderen Männern und Frauen, die für Schönstatt ihr Leben ließen. Sie haben sich ganz der Gottesmutter zur Verfügung gestellt und der Gottesmutter ihr Leben übertragen. Die Gottesmutter hat von ihrer Erziehungsmacht Gebrauch gemacht und sie zu modernen Heiligen geformt.[14]

3. Gemeinschaft

Bereits in der Vorgründungsurkunde heißt es im Programm: "Wir wollen lernen ..." Also nicht jeder für sich, sondern gemeinsam. Pater Kentenich sagt in dieser Vorgründungsurkunde weiter: "Wir müssen lernen uns selbst zu erziehen. Uns müssen wir erziehen ... Jetzt müssen wir Hand ans Werk legen. Ja, in dieser Beziehung harrt unser noch eine große Aufgabe. Nach euren Statuten sollen wir die Marien Verehrung in Gemeinschaft pflegen. Das äußere ist schon da: es ist die prächtige Fahne und die Medaille. Aber die Hauptsache fehlt noch: eine unseren Verhältnissen entsprechende innere Organisation nach Art der Kongregationen,  wie sie bekanntlich an verschiedenen Gymnasien und Universitäten bestehen. Wir wollen diese Organisation schaffen. Wir, nicht ich. Denn ich werde in dieser Beziehung nichts, rein gar nichts tun ohne eure volle Zustimmung. Hier handelt es sich ja nicht um eine augenblickliche Arbeit, sondern um eine Einrichtung, die für alle künftigen Generationen brauchbar ist. Eure Nachfolger sollen also zehren von euerem Eifer, von euerer Seelenkenntnis und Klugheit. Ich bin überzeugt, dass wir etwas Brauchbares zustande bringen, wenn alle mitmachen ... Gemeinsam wollen wir das große Werk beginnen, gemeinsam es vollenden."[15] In der leitenden Grundidee Pater Kentenichs war immer das Bild der "neuen Gemeinschaft": "Die 'neue Gemeinschaft' löst sich - ohne formlos zu sein - von allem seelenlosen Formalismus, vom mechanischen, bloß äußerlichen Nebeneinander. Sie ringt um tiefe innerseelische Verbundenheit: um ein seelisches Ineinander, Miteinander und Füreinander, um ein in Gott verankertes, stets wirksames Verantwortlichkeitsbewusstsein füreinander, das Individuum und Gemeinschaft auf die Bahn des universellen Apostolates drängt und dort fruchtbar werden lässt ..."[16]

Diese leitende Idee hat sich ausgeformt in den verschiedensten Strömungsgemeinschaften, Gliederungen, Bünden und Verbänden der internationalen Schönstattfamilie.

4. Apostolat

Die 'leitende Idee' "steht vor uns als das Ideal eines 'gelübdelosen, vollkommenen Menschen in einer gelübdelosen, vollkommenen Gemeinschaft mit universeller apostolischer Einstellung'."[17] Freiheit, Heiligkeit, Gemeinschaft wird nie gesehen um ihrer selbst willen. Alles Streben, alles Ringen, alles Leiden - mag es noch so unscheinbar sein - hat apostolische Bedeutung. Von Anfang an wird Apostolat in der Vermittlung von Gnade gesehen, als Mitagieren mit dem Tun Gottes, sei es in der aktiven, schöpferischen Tat, sei es in der sich verschenkenden Hingabe des Menschen. In diesem Sinne ist das Wort Pater Kentenichs in der 1. Gründungsurkunde zu verstehen; "... des Öfteren schon habe ich mich gefragt: Wäre es nun nicht möglich, dass unser Kongregationskapellchen zugleich unser Tabor würde, auf dem sich die Herrlichkeit Mariens offenbarte? Eine größere apostolische Tat können wir ohne Zweifel nicht vollbringen, ein kostbareres Erbe unseren Nachfolgern nicht zurücklassen, als wenn wir unsere Herrin und Gebieterin bewegen, hier in besonderer Weise ihren Thron aufzuschlagen, ihre Schätze auszuteilen und Wunder der Gnade zu wirken. Sie ahnen, worauf ich hinziele: Ich möchte diesen Ort gerne zu einem Wallfahrts-, zu einem Gnadenort machen für unser Haus und für die ganze deutsche Provinz, vielleicht noch darüber hinaus ..."[18]

Pater Kentenich wird nicht müde, in vielen Kursen und Vorträgen uns hinzuweisen auf unsere "Sendung für das Apostolat. Wer in unsere Nähe kommt, muss nicht nur entzündet werden, gut und brav zu sein, sondern muss auch zum Apostel umgeformt werden".[19] Die Schönstattbewegung hat sich immer als apostolische Bewegung verstanden und auch als apostolische Bewegung bezeichnet.

Bereits in der Prinzipienlehre sagt unser Vater und Gründer: "Es kann unsere Aufgabe im Bunde nicht sein, uns zu erschöpfen in der Betreuung anderer, sie in Berührung zu bringen mit dem Corpus Christi mysticum, sondern wir sollen andere in irgendeiner Form anregen, Apostel zu werden. Damit wäre der Bund das. was Kardinal Faulhaber 'Aktionsausschuss' der Katholischen Aktion nennt. Wir können sagen: Arbeitsgemeinschaft, Sauerteig für Priester."[20] Schönstatt möchte Sauerteig für die Kirche in der Welt von heute sein. Von Anfang an drängte es in die Weite. Im 1. Weltkrieg entstand durch das Apostolat der Sodalen die "Außenorganisation". 1933 werden die ersten Schwestern nach Südafrika ausgesandt. In Dachau wird die Internationale gegründet. Im Himmelwärts beten wir "Herrsch über uns, so wie es Gott gefällt, mach uns zum Salz und Sauerteig der Welt, lass uns ... durchbrechen alle nationalen Schranken, auch wenn an Hass die Völkermassen kranken."[21]  Das Apostolat der Drang in die Welt, um sie dem geheimnisvollen Leib der Kirche anzueinen, ist in Schönstatt tief verwurzelt. "Es muss offenbar diese immanente Tendenz in diesem Saatkorn 'Schönstatt' stecken, alles drängt in die Weite, zur endlosen Vervielfältigung. Das würde also heißen: Wir haben keine Ruhe, bis Schönstatt nicht nur in Deutschland, sondern darüber hinaus in der ganzen Welt verbreitet ist."[22]


II.
Weg des Gehorsams

1. Juristische Machteinschränkung

Zum Postulat "Juristische Machteinschränkung" muss gleich hinzugefügt werden: "verbunden mit außergewöhnlich reicher lebensmäßiger Machtfülle."[23] Dahinter steht der Gedanke: Nirgends binden, wo es nicht notwendig ist. Aber nicht, um der Bindungslosigkeit das Wort zu reden, sondern um damit das Feld für eine lebensmäßige Entfaltung frei zu haben. Das Leben selber soll dann nach und nach selber bestimmen, wo Bindungen entstehen und festgehalten werden sollen.

Juristische Machteinschränkung besagt nicht: Juristischer Machtverzicht! Es gibt also eine juristische Machtausübung, und zwar in allen schönstättischen Gemeinschaften, z.B. bei der Liga in der Zulassung oder Abweisung zur Weihe , beim Bund in der organisatorischen Verpflichtung zu einem maßvollen Gemeinschaftsleben, beim Verband im Regieren der Oberen, die allerdings alle nur auf Zeit gewählt bzw. ernannt sind.

Aber diese juristische Machtausübung ist in allen Gemeinschaften auf ein Mindestmaß eingeschränkt. Bei den Verbänden ist der einzige Reifen der Gehorsam. Durch die Vertragsweihe wird mit der Gemeinschaft ein Vertrag geschlossen, der aber wieder gekündigt werden kann.  In allem soll die Freiheit dominieren. Auch in der Struktur und in der Organisation soll das der Fall sein.

2 . Hochherzigkeit

Die freiheitlichen Organisationsformen und die maßvollen Bindungen sollen Raum schaffen für Initiative, Engagement und Hochherzigkeit der Mitglieder unserer Gemeinschaften. Die Erziehung zur Hochherzigkeit war von Anfang das Ziel Pater Kentenichs; "Gott will keine Galeerensklaven, er will freie Ruderer haben. Mögen andere vor ihren Vorgesetzten kriechen, ihre Füße belecken und dankbar sein, wenn sie getreten werden. Wir sind uns unserer Würde und Rechte wohl bewusst. Nicht aus Furcht oder Zwang beugen wir uns vor dem Willen unserer Oberen, sondern weil wir es so frei wollen, weil jeder Akt der vernünftigen Unterwerfung uns innerlich frei und selbständig macht."[24]

Die Hochherzigkeit weiß Pater Kentenich in den Jungen anzusprechen, sie gründen 1914 die marianische Kongregation, sie wetteifern in ihrem Streben, sie ermuntern sich gegenseitig im 1. Weltkrieg und sie bieten freiwillig und in hochherziger Weise ihr Leben der Gottesmutter an zur Verwirklichung der Ziele ihrer jungen Gemeinschaft. Sie gehen freiwillig und hochherzig auf die Anregungen ihres Pater Spiritual ein. Er ist für sie Autorität, ohne dass er Befehle erteilt. Diese Hochherzigkeit findet in den Beiträgen zum Gnadenkapital ihren konkreten Ausdruck. Alles wollen sie aus Liebe zur Gottesmutter tragen und ertragen. Die "Beiträge" werden so zum ersten Schritt für die "Blankovollmacht", die die Schönstattfamilie im Jahre 1939 der Gottesmutter schenkt.[25]

In den Verbänden und Bünden ist diese Hochherzigkeit in besonderer Weise angesprochen; die Bünde sollen Seele, die Verbände Garant und Seele ihrer Stände sein. Der Bund ist aufgebaut auf die Hochherzigkeit, da er keine potestas dominativa der Vorgesetzten kennt. Das Erziehungsziel bei den Verbänden ist die Inscriptio: Jeder muss bereit sein, sich zur Inscriptio erziehen zu lassen. Das ist aber nur möglich, wenn jedes Mitglied eines Verbandes dazu bereit ist in der Hochherzigkeit.

3. Familienhaftigkeit

Wir haben nur maßvolle Bindungen. Wir haben keine Gelübde, Formen akzeptieren wir nur, wenn sie aus dem Leben herausgewachsen sind und wenn sie sich als notwendig erweisen. Dafür wollen wir möglichst viel personalisieren und familienhaft gestalten. "Wir müssen den Familiencharakter unserer Gemeinschaft mit großer Inbrunst betonen und verwirklichen. Das besagt ein Doppeltes: Erstens, wir müssen der Gemeinschaft die Struktur der Familie geben, wir müssen diese Familienstruktur sicher stellen."[26]

"Wir kennen Vater, Mutter und Kinder. Sehen Sie, deswegen muss alles bei uns aufgebaut sein auf dem Vaterprinzip, auf dem Mutterprinzip, auf dem Kinderprinzip."[27] "Alle männlichen Gemeinschaften müssen ihre Vorgesetzten als Vater auffassen, und alle Obern müssen das Bewusstsein der Vaterwürde und der Vateraufgabe haben. Das mütterliche Prinzip in den Männergemeinschaften ist ein Doppeltes: Das letzte ist die Gottesmutter - sie ist das mütterliche Prinzip -, und das irdisch greifbare sollte ... der Spiritual sein".[28]

"... wir haben den Familiengedanken bei den weiblichen Gemeinschaften zielstrebig durchgeführt und durchgearbeitet. Die Oberinnen haben den Charakter des Mutterprinzips, aber als Abglanz der Gottesmutter, und die Leiter, die Direktoren nicht nur den Charakter, sondern die Haltung des Vaters. Sie dürfen nicht übersehen, juristisch ist das Vaterprinzip etwas Neues den weiblichen Gemeinschaften gegenüber."[29]

Und an die Adresse der Kinder sagt Pater Kentenich das Wort: "Wissen Sie, eine der wesentlichsten Tugenden in der Familie müsste der familienhafte Gehorsam sein. Hören Sie, der familienhafte Gehorsam."[30]

Aufgabe der Vorgesetzten ist die Umsorgung der 'Kinder', damit sie ihr Ziel erreichen und damit sie in der Geborgenheit der Familie ausreifen können. Aufgabe der 'Kinder' ist es, im Sinne der Familie - also im Sinne der Vorgesetzten - zu überlegen, zu planen und zu handeln. So sollte möglichst ein Gleichklang im Wollen und Handeln von Vorgesetzten und Untergebenen, von Eltern und Kinder, von Verantwortlichen und Mitgliedern zustande kommen. Die konkrete Einübung in diese Familienhaftigkeit geschieht durch die Gruppe, bei den Elitegliederungen aber vor allem auch durch die Erziehungs- und Lebensgemeinschaft des Kurses. In diesen kleinen Lebenszellen wird die Gemeinschaft konkret. Hier muss die Familienhaftigkeit vor allem sichtbar sein.

4. Sendungsbewusstsein

Im Karmelbrief zum Jahreswechsel (1941-1942) heißt es: Es stehen "... Millionen aus jetzigen und kommenden Geschlechtern vor uns, die die Hände nach unserer Arche ausstrecken, die sie über die große Flut hinein- und hinüberretten soll an himmlische Gestade ... Es gibt und darf für den wahrhaft Gesandten in solch schicksalsschwerer Zeit nur eines geben: Unsere Sendung, unsere Familie, unser ceterum censeo."[31]

Im Brasilienterziat sagt Pater Kentenich: "Da steht der Heiland gleichsam vor uns nach seiner Auferstehung ... und ... ruft... hinaus: Wie mich der Vater gesandt hat, sende ich euch (Joh 20,21)! Sehen Sie, in diesen großen Sendungsstrom des Gottmenschen ... ist Schönstatt, ist die ganze Familie hineingezogen, und wir wissen, das ist eine charismatische Sendung ..."[32]

In diesem Zusammenhang ist auch das Persönliche Ideal und das Gemeinschaftsideal zu sehen. Jedes Mal handelt es sich um den Glauben an eine Sendung; das eine Mal um den Glauben an eine persönliche, das andere Mal an eine Gemeinschaftssendung.


III. Modell-Hinweis

1.
Der Freiheitsbegriff der neuesten Zeit betont das eigene Selbst des Menschen. Im Mittelpunkt steht der Mensch. Er will die Freiheit um seiner selbst willen. Dieser Mensch ist aber in seiner Natur angeschlagen. Somit führt die je größere Freiheit seiner selbst mehr zum Egoismus, zur hemmungslosen Entladung seiner Triebwelt, zur Willkür. - Demnach würde und wird der Mensch tatsächlich Sklave seiner selbst. - Nach Pater Kentenich ist Gott das überragende und befreiende Ziel des Menschen. Wer bei Gott ist, ist frei. Er findet zu seinem höheren Selbst. Nun ist das Bei-Gott-Sein nicht ohne den Aufstieg über die Zweitursachen möglich. Der Gehorsam den Oberen gegenüber ist Ausdruck, Mittel und Schutz des Bei-Gott-Seins, eigentlich der größeren Freiheit.

Der Gehorsam bewahrt uns vor Ich-Versklavung, öffnet uns für Gott und führt uns zu größerer Freiheit, weil er uns vom kleinen Ich befreit.

So schreibt Pater Kentenich in Himmelwärts;

"Wer durch Inscriptio seinen freien Willen befreit von seiner Ichsucht starken Hüllen, steht über allen Dingen dieser Welt, bleibt stets als Sieger auf dem Kampfesfeld."[33]

2.
Heiligkeit ist Sich-Verlieben in die Person und in die Welt Gottes. Die Gefahr ist aber für den Menschen, solange er Pilger ist, dass er sich in sich selbst verliebt und verliert. Davor muss ihn eine Gemeinschaft bewahren. Jede religiöse Gemeinschaft trägt hier eine große Verantwortung.

Wer in einen schönstättischen Verband eintritt, erklärt sich bereit, sich zur Inscriptio erziehen zu lassen, d.h. er erklärt sich bereit, so erzogen und geformt zu werden, dass er immer und überall den Willen Gottes zu ertasten und zu erfüllen sucht. Und weil unsere menschliche Natur sich meist gegen unangenehme Wünsche Gottes auflehnt, soll in der Erziehung zur Inscriptio auch zu allem Schweren und Unangenehmen gerne "Ja" gesagt werden.

Sich dem Wunsch und Willen Gottes ausliefern, bleibt abstrakt und lebensfremd, wenn nicht im Gehorsam konkret dieser Wille und Wunsch Gottes gesehen und eingeübt wird. Der Gehorsam ist Mittel und Weg, um uns dem Willen und Wunsch Gottes zu öffnen. Er ist Ausdruck der Willenseinheit mit dem Transparent Gottes. Er ist Schutz für die immer stärker werdende Einigung mit dem Willen Gottes.

3. Durch die familienhafte Gemeinschaft finden viele erst zu sich. Jeder erkennt dabei erst seine eigene Sendung in Abgrenzung zur Gemeinschaft, aber auch als ein Teil der Gemeinschaft. Die Identifizierung mit der Sendung der Gemeinschaft hat Pater Kentenich immer betont. "Ich bin der Bund", "Ich bin die Familie" u.ä.

Der einzelne vertritt die Gemeinschaft; aber das ist nur möglich, wenn er sich dieser Gemeinschaft ein- und unterordnet, wenn er sich von der Sendung der Gemeinschaft ganz und gar in Bann nehmen lässt.

Das Eingehen in die Sendung der Gemeinschaft heißt auch Eingehen in das Wollen und Tun der Repräsentanten der Gemeinschaft. Der Obere - als Vater oder Mutter - vertritt die Sendung der Gemeinschaft, der ich mich eingegliedert habe. Um dieses Eingehen in diese Sendung zu sichern, ist Gehorsam den Oberen gegenüber gefordert. Er ist auch Ausdruck und Mittel dieses Eingegliedertseins in die Sendung der Gemeinschaft.

Der Gehorsam wird familienhaft sein, weil alle - Vorgesetzte und Untergebene, Eltern und Kinder - in gleicher Weise die Sendung der Gemeinschaft zu garantieren und zu erfüllen haben.

4. Von der Sendung der Gemeinschaft aus gesehen ist auch das Apostolat zu betrachten. Jede Gemeinschaft hat eine besondere Sendung zum Apostolat. So haben die Verbände Garant und Seele des ganzen Werkes zu sein; Schönstatt versteht sich als "Herz der Kirche" und die Kirche soll wieder Seele der ganzen Welt werden.

Nur wer dieses Apostolat bejaht, kann in einen Verband eintreten, d.h. aber dann umgekehrt, dass jemand, der in einen Verband eingetreten ist, sich zu den Apostolatsfeldern der Gemeinschaft senden lässt, eben weil er sich mit der Sendung zu diesem Apostolat identifiziert.

Auf die Frage des Herrn: Wen soll ich senden? sprach Jesaja: Sende mich! (vgl. Des 6,8). Auf Grund der Sendungseinheit mit der Gemeinschaft müsste jedes Mitglied bereit sein, sich wie der Prophet senden zu lassen. Ja, das einzelne Mitglied müsste sich die Intention eigen machen, sich selbst mit den Apostolatsaufgaben der Gemeinschaft zu identifizieren und zu der oder jener Aufgabe sich freiwillig zu melden.

Wird allerdings jemand zu einer Aufgabe gesandt, die er aus theologischen, moralischen, gesundheitlichen oder anderen Gründen nicht bejahen kann, so ist er zu offenem Freimut dem Oberen gegenüber verpflichtet. Auch das ergibt sich aus der schicksalhaften Verwobenheit mit der Sendung der Gemeinschaft, an der alle teilhaben.



[1] J.Kentenich, Brasilienterziat, Bd1,123ff

 

 

 

[2]"Vorgründungsurkunde" vom 27. Oktober 1912, in: Ferdinand Kastner, Unter dem Schutze Mariens, Paderborn 1939, 23

 

 

 

[3] J. Kentenich. Schlüssel zum Verständnis Schönstatts, 14ff

 

 

 

[4] Aus dem Jahre 1942, ins Unsere Ganzhingabe, 16

 

 

 

[5] vgl. F. Kastner, Unter dem Schutze Mariens , 17-281

 

 

 

[6] "1. Gründungsurkunde" vom 18.10.1914, ins F. Kastner, Unter dem Schutze Mariens, 290.

 

 

 

[7]  ebd. 291

 

 

 

[8] ebd. 292f

 

 

 

[9] ebd. 289

 

 

 

[10] Brief vom 6.11.1919

 

 

 

[11] vgl. M. A . Nailis, Werktagsheiligkeit, 1. Aufl. Limburg ( 1937)

 

 

 

[12] vgl. J. Kentenich, Marianische Werkzeugsfrömmigkeit, geschrieben im Frühjahr 1944 im Konzentrationslager Dachau

 

 

 

[13] beim Silbernen Priesterjubiläum am 15.-August 1935

 

 

 

[14] so etwa Josef Engling[15] F. Kastner, Unter dem Schutze Mariens, 26f 

 

[16] Schlüssel zum Verständnis Schönstatts; zit. bei: 3. Kentenich, Das Lebensgeheimnis Schönstatts, 1. Teil: Geist und Form, Vallendar-Schönstatt 1971, 49f

 

 

 

[17] Das Lebensgeheimnis Schönstatts, 1. Teil: Geist und Form, 50

 

 

 

[18] 1.Gründungsurkunde, in: F. Kastner, Unter dem Schutze Mariens, 290f

 

 

 

[19]   Kirche im Aufbruch ans neue Ufer, Texte .aus Kursen und Schriften von P. Josef Kentenich, hrsg. August Ziegler und Georg Roos (Emmenbrücke 1964), 211f

 

 

 

[20] J. Kentenich, Allgemeine Prinzipienlehre der Apostolischen Bewegung von Schönstatt 50

 

 

 

[21] J. Kentenich, Himmelwärts (Gebete aus dem Konzentrationslager Dachau), 143.

 

 

 

[22]  Kirche im Aufbruch ans neue Ufer, 126

 

 

 

[23] Das Lebensgeheimnis Schönstatts, 1. Teil: Geist und Form, 24

 

 

 

[24] F. Kastner, Unter dem Schutze Mariens, 26

 

 

 

[25] "2. Gründungsurkunde", in: Schönstatt, Die Gründungsurkunden, Vallendar- Schönstatt 1967, 29-63

 

 

 

[26] Brasilienterziat, Bd. I, 88f

 

 

 

[27] ebd. 89f

 

 

 

[28] ebd. 90

 

 

 

[29] ebd.  91

 

 

 

[30] ebd. 95

 

 

 

[31] Kirche im Aufbruch ans neue Ufer, 94

 

 

 

[32] Brasilienterziat, Bd. I, 48

 

 

 

[33] Himmelwärts, 112

 

 

 

 

 

 
 

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