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Predigten

2009 (B)

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Homilie am am 1, Advent in der Sonntagvorabendmesse und am Sonntag in Rödlas

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Du bist doch unser Vater und Erlöser - trotz allem.
 
1. Nach tagelangem, neblig-trübem Wetter sehnen wir uns danach, daß der Himmel aufreißt und die Sonne die Welt wieder hell macht.

"O Heiland reiß die Himmel auf!“ haben wir eingangs gesungen. Die heutige Lesung aus dem Propheten Jesaja ist der Ursprung dieses sehnsuchtsvollen Liedes.
Die Israeliten leben in der Notzeit nach dem babylonischen Exil. Das Land ist verwüstet, der Tempel zerstört. Gott, so scheint es, hat sich von seinem Volk abgewandt. Betend beklagen die Juden ihr Los: "Du hast dein Angesicht vor uns verborgen und hast uns der Gewalt unserer Schuld überlassen."[1]

2. In die Klagegesänge über die vergangenen besseren Zeiten wie über die Not der Gegenwart mischen sich Worte der Zuversicht und der Hoffnung.
"Du bist doch unser Vater ..Unser Erlöser von jeher, wirst du genannt.“[2] Damit wird die nun folgende Klage vorbereitet. Sie ist eine Anfrage an Jahwe, die beinahe einer Anklage gleichkommt. „Warum lässt du uns, Herr, von deinen Wegen abirren und machst unser Herz hart, so dass wir dich nicht mehr fürchten?“[3]
Auch wir fragen, wenn unsere Kinder und Enkel, wenn Freunde und Freundinnen sich von der Kirche, der Gemeinschaft der Glaubenden, ja von Gott abwenden oder ein gottloses Leben führen: “Mein Gott, wie ist das möglich. Ich habe doch versucht ihnen ein Vorbild im Glauben zu sein. Warum lässt Du es zu, dass sie deinen Weg verlassen?“
Bei Jesaja geben die vor Gott klagend Betenden zu, dass die Schuld auf ihrer Seite liegt. Sie haben Gott nicht gefürchtet, ihm nicht gedient und seinen Auftrag nicht erfüllt; mit einem Wort, die zu Jahwe Flehenden haben nicht getan, was die von Gott geschenkte Beziehung, was der Bund Gottes mit seinem Volk, verlangt hätte: Ihn aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele, mit ihre ganzen Vitalität zu lieben.
Sind nicht auch wir ständig in Gefahr, unsere Gottesbeziehung zu vernachlässigen, Gott einen guten Mann sein zu lassen? Leben wir wirklich täglich in lebendiger Beziehung zu ihm und in Verantwortung vor ihm? Bestimmt sein Wille unseren Alltag, unser Leben, unsere menschlichen Beziehungen?
Woher kommen denn die schlimmen Dinge auf der Welt? Sind sie nicht weitgehend hausgemacht, von uns Menschen durch gedanken- und verantwortungsloses, egoistisches Verhalten heraufbeschoren, eingeleitet, verursacht? Aber die betend Klagenden der Lesung geben sich mit ihrem Schuldbekenntnis nicht zufrieden.

3. Das »WARUM« lässt sie nicht los.

Warum hat der Herr sein Volk vom rechten Weg abweichen lassen? Wenn er doch unser Vater ist, hätte er es nicht verhindern können, daß wir uns verrannten. Weshalb hat er, wie einst das Herz des Pharao, auch unser Herz verhärtet, so daß wir ihn nicht mehr ernst nahmen, lau geworden sind? Kann Gott wirklich daran gelegen sein, daß sein Volk in Sünde stürzt und so dem Gericht verfällt?
Hier spricht der angefochtene Mensch. Dieser glaubt zwar an Gott und sieht ihn in jeglichem Geschehen handeln, aber macht auch die Erfahrung der eigenen Schuld und heilloser Zustände in der Welt. So scheint es tatsächlich bisweilen so zu sein, als wäre Jahwe nicht der Herr, nicht unser Gott und wir nicht sein Volk.
Und doch bringt diese schwere Anfechtung die Glaubenden der Gottesgemeinde nicht zur Aufkündigung des Gehorsams oder zur Aufgabe des Vertrauens.
Sie berufen sich auf das von Gott seinem Volk geschenkte Heils Verhältnis. Sie hoffen weiter auf die Treue Gottes. Noch gibt es Stämme in Israel. Noch sind sie sein Eigentum, das unter seiner Verantwortung und Verfügung steht. Und darum die inständige Bitte: "Kehre zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Eigentum sind.[4] Die

4. Bitte um Gottes Zuwendung wird zum stürmischen Flehen:

"Reiß doch den Himmel auf und komm herab. Komm wie ein Feuer, das Reisig entzündet, wie ein Feuer, das Wasser zu Sieden bringt.“[5]
Ja, nur Gott kann den heillosen Zustand, in den sich der Mensch durch sein eigenes schuldhaftes Tun verstrickt hat, zerreißen wie ein Gewand.
Gerade in unserem selbstverschuldeten Elend bleibt uns Menschen kein anderer Ausweg als das Bekennen der eigenen Schuld und die unaufhörliche, vertrauende Anrufung unseres Gottes, der unser Vater und Erlöser ist.
Schon bei Jesaja gibt uns Gott zu bedenken: "Es gibt keinen Gott außer mir, keinen gerechten und helfenden Gott neben mir."[6] Die Richtigkeit dieses Gotteswortes hat sich in der Erfahrung des Gottesvolkes immer wieder erwiesen. Sie erweist sich auch in unserem Leben als wahr. Aber auch die Heilstaten Gottes in der Geschichte berechtigen die Israeliten zu solcher Haltung.
Uns Christen berechtigt dazu, die Tat des Vaters, der den Himmel aufgerissen und seinen Sohn gesandt hat, der uns nicht richten, sondern retten will. In diesem Sohn schenkt er uns seine Liebe und sein Erbarmen. Er ist für uns gehorsam geworden bis in den Tod. Er ist das unabersehbare Zeichen der Treue Gottes. Auf ihn sollen wir auch in den schlimmen Erfahrungen und Erschütterungen unseres Lebens, wie auf einen Freund warten. Der in Schuld geratene und in das selbstgeschaffene Elend verstrickte Mensch, ist erst dann verloren, wenn er aufhört zu seinem Vater und Erlöser zu rufen.
Gewaltig klingen die Schlussworte der Lesung. „Und doch bist du, Herr, unser Vater. Wir sind der Ton, und du bist unser Töpfer, wir alle sind das Werk deiner Hände.“[7]

5. Bekenntnis des Glaubens, Bekennen der Schuld führen zur Hingabe und Anbetung

Ich meine, daß diese Verse uns deshalb so faszinieren, weil sie unserer Seelenlage, unserer Sehnsucht und Hoffnung entsprechen. Diese Sehnsucht und Hoffnung hat Christus neu in uns geweckt. „In den Tagen nach der großen Not“, sagt uns Jesus heute im Evangelium, ist er mit seiner Macht und Herrlichkeit den Seinen besonders nahe.
Schon bei Jesaja klingt an, was in Christus neu aufgeleuchtet ist: „Seit Menschengedenken hat man noch nie vernommen, kein Ohr hat gehört und kein Auge gesehen, daß es einen Gott außer dir gibt, der denen Gutes tut, die auf ihn hoffen.“ [8]
Und wir Christen, trauen wir Gott, dass er uns Schuldbeladenen das Gute tut, wenn wir auf ihn hoffen? Die Anklagen der Lesung treffen auch auf das Verhalten vieler Getaufter bei uns zu: "Niemand ruft deinen Namen an, keiner rafft sich dazu auf, fest zu halten an dir.“[9]
 Die Folgen sind schlimm. Das Gespür für Gott geht verloren. Das ist die größte Gefahr für die Zukunft. Jesaja spricht zu Gott: „Denn du hast dein Angesicht vor uns verborgen und hast uns der Gewalt unserer Schuld überlassen.“ Wird der Glaube nicht mehr gelebt, verbirgt Gott sein Angesicht. Der Mensch nimmt ihn nicht mehr wahr. Er ist sich selbst und der Gewalt seiner Schuld überlassen. "Wie unreine Menschen sind wir alle geworden, unsere ganze Gerechtigkeit ist wie ein schmutziges Kleid“, klagt der Prophet.[10]
Die Gottesgemeinde damals wie heute muss zur Erkenntnis, ja zum Bekenntnis gelangen, dass sie schuldig geworden ist und der Vergebung bedarf. Geschieht das nicht, verschwindet sie über kurz oder lang. „Wie Laub sind wir alle verwelkt, unsere Schuld trägt uns fort wie der Wind.“[11]
Der Empfang des Bußsakramentes im Advent und die Mitfeier des Bußgottesdienstes am Freitag vor dem 4. Advent geben uns die Möglichkeit umzukehren und Vergebung zu erlangen.
Wer seine Schuld erkennt und bekennt, um Vergebung bittet und umkehrt, der findet heraus aus der Finsternis:

"Und doch bist du Herr unser Vater
Wir sind der Ton und du bist unser Töpfer
Wir alle sind das Werk deiner Hände."[12]

Israel wendet sich in der Not an seinen Herrn und Vater. Zu ihm kommt es auch unter der Last seiner Vergehen. Es weiß sich in seiner Hand, völlig abhängig, aber auch behütet.
Der Vater wird sein Geschöpf, der Meister sein Werk, das sich wieder seinen formenden Händen anvertraut, nicht zugrunde gehen lassen. Dieses Vertrauen sollten wir uns durch nichts und niemanden auch nicht von unserer eigenen Schuld zerstören lassen.
Jesus hat uns dieses Vertrauen bis in die Finsternis des Kreuzes hinein vorgelebt. Als menschliche Bosheit ihn leiblich und seelisch vernichtete, betete er: „Vater in deine Hände lege ich meinen Geist."[13]
2007 besuchte ich in Trier das Grab des großen geistlichen Liederdichters und Jesuiten Friedrich von Spee. Er lebte und wirkte in der schrecklichen Zeit des dreißigjährigen Krieges und der Hexenverbrennungen. Aus der Anbetung Gottes lebend konnte er die ermutigenden Worte schreiben:
„Ich habe mein Herz in Gottes Herz befestigt, da habe ich mein Vertrauen wie einen starken Anker hineingeworfen, und hoffe, daß kein einziger Wind der Versuchung so stark sein wird, daß er mich wegreißen könnte.“


[1] Jes 64,4b
[2] Jes 63,16b
[3] Jes 63,17
[4] Jes 63,17b
[5] Jes 63,19
[6] Jes 45,21
[7] Jes 64,7
[8] Jes 64,3
[9] Jes 64,6
[10] Jes 64,5a
[11] Jes 64,5b
[12] Jes 64,7
[13] Lk 23,46

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